EU rügt Türkei wegen Grundrechte-Defizit

(c) EPA (Ates Tumer)
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Die EU-Kommission legt ihre Fortschrittsberichte zu den Beitrittskandidaten vor: Neue Munition für Gegner eines Beitritts der Türkei und sogar gegen Kroatien. Die Aufnahme neuer Mitglieder bleibt weiterhin heikel.

Wien. Sie bekamen alle mehr oder weniger gute Zeugnisse. Noch keine positiven Abschlusszeugnisse, aber immerhin motivierende Zwischenbewertungen: Die EU-Kommission legte am Dienstag ihre Fortschrittsberichte zu den Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan, zur Türkei und Island vor. Das Resümee ist vor allem für Kroatien eindeutig. Das Land darf im kommenden Jahr mit dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen rechnen. 25 von 35 Verhandlungskapiteln sind abgehakt. Kroatien habe „in vielen Bereichen Fortschritte erzielt“, heißt es im Kommissionsbericht. Der Rest an Reformen ist durchaus bewältigbar. Zagreb zeigte sich in einer ersten Reaktion dennoch unzufrieden. Präsident Ivo Josipovic kritisierte, dass Brüssel trotz der Fortschritte noch kein konkretes Datum für die Aufnahme des Landes genannt habe.

Die angeführten Kritikpunkte an den einzelnen Kandidaten sind aber auch Munition für die wachsende Zahl an Erweiterungsgegnern. So werden die ausstehenden Reformen in der Türkei sowohl von deutschen als auch österreichischen Christdemokraten als Beweis dafür angeführt, dass dieses Land nicht der EU beitreten sollte. Es wäre „nur konsequent, wenn die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf Eis gelegt würden“, sagten der Vorsitzende und der Co-Vorsitzende der CDU und CSU im Europaparlament, Werner Langen und Markus Ferber. „Die Türkei ist nicht beitrittsreif“, so der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Ernst Strasser.

Wilders gegen Kroatien-Beitritt

Aber auch gegen Kroatien wächst plötzlich Widerstand. Der rechte niederländische Politiker Geert Wilders, der die Minderheitsregierung in seinem Land stützt, forderte in einem „Spiegel“-Interview einen Stopp für „jede Form der Erweiterung“. Das betreffe sämtliche Kandidaten inklusive Kroatien.

„Das ist eine Entwicklung, die uns nicht kalt lassen darf“, sagt der Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, Richard Kühnel. Er warnt im Gespräch mit der „Presse“ davor, die Vorteile der EU-Annäherung des Westbalkans kleinzureden. „Es gibt einen enormen Fortschritt an regionaler Kooperation der ehemaligen Kriegsgegner.“ Die ständig überprüften Reformen dieser Länder seien der „Antrieb“ für eine neue Stabilität dieser Region. Kühnel fordert allerdings auch von den bisherigen Mitgliedstaaten mehr Anstrengungen ein, die Bevölkerung über die Vorteile der nächsten EU-Erweiterung zu informieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2010)

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