Der Westen bietet für Russlands Präsidenten genug Schwächen. Erfolgreich hat er eine Drohkulisse aufgebaut.
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Wladimir Putin, seit 21 Jahren Alleinherrscher Rußlands, ist Judokämpfer, kein Schachspieler. Ein Schachspieler denkt strategisch. Zur Not akzeptiert er auch ein Remis. Ein Judoka jedoch kämpft rein taktisch, sucht die Schwäche und Unaufmerksamkeit des Gegners in einem Überraschungsmoment zu nutzen und ihn jäh niederzuringen. Und: Es gibt kein Unentschieden. Zweites Merkmal der Kremlpolitik: Er kann erkannten Schwächen des Gegenübers nicht widerstehen, leidet wie Putin unter den Phantomschmerzen des vor 30 Jahren untergegangenen Sowjetreiches, das er durch Einflusssphären, wie aktuell mit dem destablisierten Weißrussland und Kasachstan tendenziell wiederherzustellen sucht, um auf Augenhöhe wieder als Weltmacht wahrgenommen zu werden – obwohl das von Rohstoffexporten lebende, demographisch schrumpfende Land nur noch das BIP von Spanien hat, objektiv Mittelmachtniveau also.
Nun bietet der Westen für den machtpolitisch denkenden Putin aktuell Schwächen genug. Biden floh Hals über Kopf im September aus Afghanistan, wie zuvor Trump in Syrien ließ er seine Bundesgenossen im Stich und sieht nur noch China als strategischen Rivalen. Die Europäer sind eine Lachnummer, wenn es nicht zum Weinen wäre. Macron macht Wahlkampf, in Rom herrscht Polit-Chaos wie üblich, Berlin spielt den moralischen Friedensengel, bietet Kiew zuerst ein Wasserstoff-Zentrum und dann ein Feldlazarett von hohem Abschreckungswert an, und die EU in Brüssel ist sich wie immer uneins und wird deshalb von niemandem machtpolitisch mehr ernst genommen. In London kämpft der Premier ums politische Überleben, schickt aber wenigstens Panzerabwehrwaffen.