Gratulation

Die Schöne mit der hantigen Art: Erni Mangold ist 95

Kammerschauspielerin Erni Mangold ist nun 95 Jahre alt. Diese Widerständige hat die Theater- und Filmgeschichte Österreichs mitgeprägt. Eine Liebeserklärung.

Wer kann heute noch behaupten, bei Gustav Gründgens gespielt zu haben, der am Ende des 19. Jahrhundert geboren wurde? Die einzigartige Erni Mangold kann es, die an diesem Mittwoch ihren 95. Geburtstag feiert. Sie war 1955 bis 1963 bei dem legendären Theatermacher am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg engagiert. Dort habe sie wichtige Bühnenerfahrungen gemacht, lange Gespräche mit Gründgens führen können, heißt es in ihren Erinnerungen. Man kann sich diesen Dialog nur auf Augenhöhe geführt vorstellen. Einschüchtern lässt sich eine wie Mangold nicht, schon gar nicht von einem faustisch-mephistophelischen Charakter. Sie liebt den Widerspruch. Gründgens schätzte sie sehr. Danach ging sie ans Schauspielhaus Düsseldorf, als dort Karl-Heinz Stroux regierte, der eng mit Eugène Ionesco zusammenarbeitete. In den Siebzigerjahren folgte Mangolds langsame Heimkehr nach Österreich.

Die Hamburger Zeit war nicht einmal der Beginn ihrer Karriere. Ab 1946 trat die junge Schauspielerin bereits im Theater in der Josefstadt auf. Rechnet man ihre Ausbildung an der Schauspielschule Krauss dazu (Schande über das Max Reinhardt Seminar, es nahm die 15-Jährige nicht auf, weil sie noch nicht reif genug sei!), dann stand Mangold vor unglaublichen achtzig Jahren erstmals auf einer professionellen Bühne. Sie hat zudem viele Jahre unterrichtet, bei Krauss und auch – am Reinhardt Seminar. Sie förderte stets die Jungen. So sorgte sie unter anderem dafür, dass der Dramatiker Werner Schwab in Wien weltberühmt wurde. Sie setzte durch, dass sein frühes Stück „Die Präsidentinnen“ 1990 mit ihr im Künstlerhaustheater uraufgeführt wurde.

Ein Abschied mit „Harold und Maude“

Einen Abschied gab es 2017; „Harold und Maude“ an den Wiener Kammerspielen war Erni Mangolds letzte Theaterpremiere. „Es ist so anstrengend“, so wichtig sei die Bühne nun auch wieder nicht, sagte sie dazu in ihrer typischen Art, die man auf dem Lande als hantig bezeichnet. Etwas milder stimmte sie, dass ihr bei dieser Gelegenheit der Goldene Rathausmann der Stadt Wien überreicht wurde („Goldene Männer sind selten!“).

In Film und Fernsehen ist sie weiterhin aktiv, im Radio seit Jahrzehnten stets präsent, sie brilliert auch in Hörspielen. Es gibt mit ihr viele Dutzend TV- und Kino-Produktionen. An Auszeichnungen mangelt es der Kammerschauspielerin nicht: Kainz-Medaille, Karl-Skraup- und Nestroy-Preis, Nestroy-Ring, Großer Österreichischer Schauspiel- und Filmpreis, Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst – sie kriegte sie alle.

Zu ihrem Beruf, ihrer Berufung, wurde die unter dem bürgerlichen Namen Ernestine Goldmann in Großweikersdorf geborene Schauspielerin von ihren Eltern ermuntert. Der Vater war Schuldirektor und Maler, die Mutter hatte wegen der Familie auf eine Karriere als Konzertpianistin verzichtet. Bei ihr lernte die Tochter auch Klavierspielen. Prägend für das Kind dürfte zudem das Gasthaus der Großeltern gewesen sein, ihr Geburtshaus. Solche Orte sind ideal für ein Studium der Charakterkunde. Eine Menge an (groß)elterlicher Disziplin hat sie dort auf dem Lande ebenfalls geprägt. Man habe sie ihr „als junges Mädchen hinein geprügelt“, sagte sie einmal in einem Interview für die „Presse“. Seither habe diese Einstellung ihr Leben bestimmt. Sie hält sie fit. Sie hält sich fit mit Gymnastik, bis zum heutigen Tag.

Welche also waren die wunderbaren Jahre? Die frühen nach dem Krieg, zu Beginn des Wirtschaftswunders? (Weithin bekannt wurde sie durch ihre Rolle als Geliebte des von O. W. Fischer gespielten Titelhelden in „Hanussen“ 1955.) Die mittleren, als sie mit ihrem Kollegen Heinz Reincke verheiratet war? („Ich lebte zwischen 33 und 50 nicht für mich.“) Die turbulente Zeit, als sie dann mit tollen Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder und Peter Patzak drehte? Die Neunzigerjahre, als sie bei „Before Sunrise“ von Richard Linklater mitwirkte? Oder – eben erst war es doch gewesen – als sie 2014 die Hauptrolle in Houchang Allahyaris wunderbarem Film „Der letzte Tanz“ spielte (als Geriatrie-Patientin bezirzt sie darin einen jungen Zivildiener)? Man es kaum sagen, so viele kreative Phasen hat diese Frau erlebt. In ihren Memoiren „Lassen Sie mich in Ruhe“ (Amalthea) und dem Bildband „Sagen Sie, was Sie denken“ (Molden) lässt sie all das Vergangene Revue passieren. Eines aber ist gewiss, wenn man diese Künstlerin erlebt: Erni Mangold wirkt. Immer.

Clique mit Helmut Qualtinger

Eine wilde Phase war jedenfalls jene kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Mangold war mit dem Wiener Originalgenie Helmut Qualtinger „sehr gut befreundet“, eine Clique bildete sich. Geld war zwar keines da, aber diese jungen Menschen machten die Nacht zum Tag. In der Josefstadt (Qualtinger war entsetzt, lauter Nazis!) spielte sie häufig jenen Frauentyp, der als gefährlich galt, eine Bedrohung für die Braven, die sich Hoffnungen auf den Helden machten. Auch im Film wurden ihr solche Stereotypen zugeschrieben. Pure Männerfantasien, wie sie sagte.
Gefallen ließ sich die junge Schauspielerin schon damals nichts. Das war noch in einer Zeit, als sexuelle Übergriffe oft toleriert wurden. Courage ist immer eine Haupteigenschaft Erni Mangolds geblieben. Schon in der NS-Zeit hatte sie auf ihre Art Widerstand geleistet, furchtlos. Sie stellte in der Schule „Fragen, die man nicht stellen durfte“.

Wenn man in TV-Dokumentationen und anderen Huldigungen inzwischen gestandene Männer wie Erwin Steinhauer oder Michael Schottenberg über Mangold reden hört, schwingt neben ihrer Bewunderung gewaltiger Respekt mit. Und Zuneigung. Eine Liebeserklärung hat auch Elfriede Jelinek dieser „Märchenfigur“ gemacht: Diese Schauspielerin (die ihr Schneewittchen spielte) sei „so schön, dass sogar der Neid sterben muss vor ihr“, schrieb die Nobelpreisträgerin. Wer wagte zu widersprechen?

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