Serie: Gefühlssache

Kann Hass auch Gutes?

Hass ist klar negativ konnotiert: Ein Gefühl ist aber niemals per se gut oder böse, sagt Şeyda Kurt.
Hass ist klar negativ konnotiert: Ein Gefühl ist aber niemals per se gut oder böse, sagt Şeyda Kurt.Illustration: Christine Pichler
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Hass ist klar negativ konnotiert. Die Autorin Şeyda Kurt sieht in ihm auch ungewöhnlich Produktives. Mit einem Buch will sie ihn aus der Ecke des Verpönten herausholen.

Im alltäglichen Sprachgebrauch ist Hass das Gegenteil von Liebe. Das Böse zum Guten, das Hässliche zum Schönen. Der Hass und die Hässlichkeit teilen sich sogar den Wortstamm, ein verrufenes Zwillingspaar, schreibt Journalistin Şeyda Kurt in ihrem erst kürzlich erschienenen Buch „Hass - Von der Macht eines widerständigen Gefühls“. Wem es paradox erscheint, dass ausgerechnet die Autorin von „Radikale Zärtlichkeit“, einem Buch, das - wie der Name sagt - weitgehend von der Zärtlichkeit und der Liebe handelt, ein weiteres dem Hass widmet, hat das erste Buch vermutlich nicht gelesen. Oder die Autorin falsch verstanden. 

Denn mit erwähnter Binarität, der guten Liebe versus dem bösen Hass, will Kurt in ihren Werken brechen. Ein Gefühl per se ist für die Autorin niemals gut oder böse, Liebe kann demnach nicht die alleinige Antwort auf alles sein. „Auch der Hass hat viele Spielformen und manchmal ist der Hass gut, gemessen an meinen politischen Visionen“, sagt Kurt gegenüber der „Presse“. Aus ihren Visionen macht die Autorin keinen Hehl, sie ersehnt sich eine Welt frei von Rassismus, dem Patriarchat, Queerfeindlichkeit, eine Welt frei von Ausbeutung für alle Menschen. Hass sei bis dahin auch ein Mittel, um sich gegen die Ungerechtigkeiten zu wehren. Hass als Selbstverteidigung, als Widerstand. Dabei geht es um „politischen Hass“, wie Kurt ihn nennt, in erster Linie von marginalisierten Gruppen. Nicht um jenes Verb, das ringsum zu inflationär verwendet wird, etwa wenn jemand sagt, er oder sie hasse Montage. Oder weiße Socken.

Von unten gehasst, von oben verachtet

„Was dem politischen Hass und dem lapidaren Hass im Alltag gemeinsam ist, ist der körperlicher Widerstand gegen eine Sache. Eine Form von Auflehnung, die vielleicht nicht durchdacht ist, aber es ist jedenfalls ein Nein zu etwas“, sagt Kurt. In ihrem Buch widmet sie sich vor allem den Hassenden, den vielfältigen Praktiken und Zielen des Hassens. „Manche davon sind widerständig und produktiv. Andere isolieren und zerstören.“ Die Frage sei immer, bringt uns der Hass weiter? „Politische Gefühle kommen immer mit Verantwortung daher, auch das Hassen“, betont die Autorin. Den Blick richtet sie dabei auf jene, die selbst jahrelang Zielscheiben des Hasses waren, etwa Schwarze, rassifizierte Menschen, Jüdinnen und Juden, queere Menschen und weibliche. Der rechte Hass, der einem beim Begriff des politischen Hassens in den Sinn kommen mag, spielt im Buch - wenn überhaupt - nur eine sekundäre Rolle. 

In ihrem Buch zitiert sie unter anderem die Philosophin Hilge Landweer, die den Hass etwa von der Verachtung unterscheidet. Ihr zufolge geht der Hass mit einem unmittelbaren Vernichtungsimpuls einher, die Verachtung ist eher mit einem Impuls des Sich-Abwendens verbunden. Sie entmenschlicht ihr Gegenüber, kommt aus einer überlegenen Position heraus. Der Hass hingegen kommt in einer hierarchischen Gesellschaft von unten. Er kann verändern, er kann transformieren. Eine Eigenschaft, die Kurt in ihrem Buch mehrfach unterstreicht. „Ich glaube schon, dass es den Hass auch als unterdrückerische Handlungsform gibt, aber viel interessanter finde ich den Hass als widerständige Handlungsform“, so Kurt. Um Veränderung zu schaffen, müsse aber verantwortungsvoll gehasst werden. „Ich muss mich als hassende Person reflektieren.“ 

Die Serie „Gefühlssache“ erscheint immer mittwochs und beschäftigt sich mit Themen rund um zwischenmenschliche Beziehungen, Sexualität und Selbstliebe. Alle Texte finden Sie unter diepresse.com/gefuehlssache. Bei Fragen, Anmerkungen, Themenvorschlägen und Kritik schreiben Sie uns gerne an diese E-Mail-Adresse: schaufenster@diepresse.com.

Gleichzeitigkeit der Gefühle 

Die Autorin plädiert zu dem für die Gleichzeitigkeit von Gefühlen. Von den verschiedenen Modi des Hasses, von Hass und Zärtlichkeit. „Die Zärtlichkeit bzw. die Liebe und der Hass schließen einander nicht aus.“ Der Wunsch nach einer gerechten Welt, nach mehr Zärtlichkeit komme oft mit einem Hass daher, auf Gewalt und auf die Ungerechtigkeit.  

Im Gegensatz zur Liebe übrigens, der sich Kurt in ihrem ersten Buch gewidmet hat, gibt es über den Hass keine soziologische Kernliteratur, die Orientierung schafft, an der man sich entlanghangeln kann bis hin zur vielsagenden Definition. „Für ,Hass' war es ein collagen-artiges Arbeiten. Eine Menge Archivarbeit, zwischendurch habe ich mich auch verloren“, erinnert sich die junge Autorin an den Schreibprozess. Den Hass wollen viele nämlich verbannt wissen. Man schreibt nicht gerne über ihn, und wenn, dann dagegen. So wie Carolin Emcke in ihrem Buch „Gegen den Hass“. Sie positioniert sich darin gegen den Hass von Rechten, wird 2016 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. 

Für Emcke ist der Hass unpräzise, immer auch dogmatisch. „Dem stimme ich nicht zu“, sagt Kurt. Es gehe um die Art und Weise, wie jemand hasst, und vor allem warum. Der Hass hat ihr zufolge eben ein korrektives Moment. Er nagt an der Gleichgültigkeit, die der Autorin zufolge noch gefährlicher sei. Denn: „Die Hassenden erwarten, sie haben noch nicht aufgegeben.“ Mit saftig grünem Cover samt schnörkeliger Schrift gibt Kurt ihr Bestes, den Hass aus der Ecke des Verpönten herauszuholen - es hätte ebenso gut rot sein können - eröffnet damit neue Perspektiven auf das geächtete Gefühl. Dabei weiß sie: „Hass alleine kann natürlich keine neue Welt gestalten.“ 

Hass - Von der Macht eines widerständigen Gefühls. Von Şeyda Kurt. 208 Seiten. Harper Collins Verlag. 

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