„Wir Frauen schenken uns gar nichts“

Frauenfeindlichkeit ist auch unter Frauen Thema, wenn auch oftmals unbewusst. Warum lautstarke Feministinnen besonders gerne angegriffen werden und was Pferde, Bier und Fußball damit zu tun haben.

Frauen gelten schnell als „hysterisch“. So etwa US-Vize-Präsidentin Kamala Harris, damals Senatorin, bei einer Anhörung des früheren Generalstaatschefs Jeff Sessions 2017 über seine Verwicklung mit Russland während der Wahl. Sie hatte ihm eindringlich schwierige Fragen gestellt, ergo ihren Job gemacht. Oder wiederholt die Ex-Tennisikone Serena Williams, wenn sie einmal mehr Entscheidungen von Schiedsrichtern infrage stellte. Die männliche Kollegenschaft, die Schiedsrichter gar immer wieder beschimpfte, wurde von Kommentatoren oder den Medien nicht als „hysterisch“ oder übermäßig emotional geschimpft. Zicke, Dramaqueen, Furie - alles Frauen vorbehalten. Es gibt sogar ein Wort für aggressives Verhalten von Frau zu Frau: stutenbissig. Ein männliches Äquivalent gibt es nicht.

Auch Frauen sind nicht davor gefeit, ähnliches Verhalten dem Geschlecht wegen unterschiedlich zu bewerten, selbst Feministinnen nicht. Ein Mann erscheint etwa als ambitioniert, während eine Frau als zickig gilt. „Da kann man noch so emanzipiert und aufgeklärt sein“, sagt Bettina Zehetner, psychosoziale Beraterin bei Frauen* beraten Frauen*, gegenüber der „Presse“. Das Patriarchat habe Spuren hinterlassen, „in all unseren Köpfen“. Heraus kommt das, was man internalisierte Misogynie nennt und sich in eben jenen Zuschreibungen äußert. Es ist die unbewusste Feindlichkeit gegenüber Frauen, ein verinnerlichter Frauenhass. Eine subtile Art der Verachtung, die oft unbemerkt bleibt. „Ein Satz, den ich in meinen Laufbahnberatungen oft höre, ist, ich könnte nicht in einem reinen Frauenteam arbeiten'“, so Zehetner. Hakt sie nach, gebe es kaum negative Erlebnisse mit anderen Frauen zu berichten, eher das Gegenteil sei der Fall. „Wir haben gelernt in diesen misogynen Strukturen zu denken“, sagt auch Angelika Breser, klinische Psychologin und Psychoanalytikerin. Aus ihrer jahrelangen Arbeit mit Frauen in diversen Beratungsstellen und beim Frauennotruf, weiß sie, dass man sich an die „schlechtesten Strukturen“ gewöhnt. Denn: sie geben einem auf eine perverse Art Halt.

„Ich kann mich selbst wehren“

Halt gibt einem auch das Denken in Kategorien, womit eine Abwertung anderer Frauen oft einhergeht. Etwa wenn die Intelligenz einer Frau am Ausmaß ihres Make-ups abgelesen wird, der Freizügigkeit des Outfits oder an der Anzahl der Männer (und Frauen) in ihrem Bett. „Oft werden damit eigene Unsicherheiten ferngehalten, ich erhalte Scheinkontrolle über eine Situation, wenn ich andere kategorisiere“, erklärt Breser, „gleichzeitig kann ich damit einer emotionalen Involviertheit entgehen.“ Ersichtlich sei das (schlimmstenfalls) beim Victim-Blaming, also der Täter-Opfer-Umkehr. Die anfängliche Betroffenheit mutiert oft binnen kurzer Zeit zu Schuldzuweisungen. Statt sich dem Täter zu widmen, geht es plötzlich darum, was die Frau anhatte, ob sie Drogen intus hatte und warum sie überhaupt mit diesem oder jenem Mann mitgegangen ist. „Indem wir uns auf diese Fragen stürzen, gaukeln wir uns vor, dass uns das nicht passieren kann. Das stimmt aber nicht“, sagt Breser.

Die Serie „Gefühlssache“ erscheint immer mittwochs und beschäftigt sich mit Themen rund um zwischenmenschliche Beziehungen, Sexualität und Selbstliebe. Alle Texte finden Sie unter diepresse.com/gefuehlssache. Bei Fragen, Anmerkungen, Themenvorschlägen und Kritik schreiben Sie uns gerne an diese E-Mail-Adresse: schaufenster@diepresse.com.

Sich mit dem Opfer zu identifizieren, kann hingegen weh tun. Ein Grund, warum vor allem Frauen, die lautstark auf misogyne Strukturen hinweisen, auch von Frauen als empfindlich oder „hysterisch“ betitelt werden. Die Abwehrhaltung diene nicht selten dem eigenen Schutz. „Da sagt eine was, das mich in irgendeiner Weise betroffen macht. Spüre ich in mich hinein, fühle ich mich vielleicht wütend, traurig oder gar ohnmächtig, weil ich es nicht ändern kann. Also lehne ich es ab.“, so die Psychoanalytikerin. Eine „Ich kann mich selbst verteidigen"-Attitüde à la Nina Proll ist allerdings wenig hilfreich. „Es mag sein, dass sie das kann. Es geht hier aber nicht um Einzelne, es geht um fest verankerte Strukturen.“ 

Immer wieder liefert auch das Netz anschauliche Beispiele für misogyne Denkmuster. Nach den Grammys wurde Popikone Madonna als zu faltenlos, zu aufgeplustert, zu prall oder scheinjugendlich getadelt. Der Inhalt ihrer Rede fand kaum Erwähnung. Der Hashtag #JusticeForJohnnyDepp (21,8 Milliarden) hat um ein Vielfaches mehr Aufrufe als der Hashtag #JusticeForAmberHeard (233 Millionen). Zur Erinnerung: Die geschiedenen Eheleute traten letztes Jahr gegeneinander vor Gericht. Kompositionen von Videoschnipseln, in denen Amber Heard weniger gut wegkommt, machten zahlreich die Runde. Johnny Depp gewann im Übrigen auch den Prozess. Ähnliche Zusammenschnitte kursieren aktuell von Hailey Bieber (ehemals Baldwin), der Ehefrau von Justin Bieber. Sie soll ihn seiner Ex Selena Gomez ausgespannt haben. Ein mögliches Fehlverhalten seinerseits findet in den Schnipseln keine Erwähnung. 

Aber auch in Österreich finden sich Vorfälle wie diese zu Hauf. Erst am Sonntag war Autorin und Journalistin Melisa Erkurt zu Gast in „Frühstück bei mir“ und machte auf die immer noch währende Diskriminierung von Frauen aufmerksam. Bis zu den ersten misogynen Kommentaren im Netz dauerte es nicht lange („Wieder eine, die nur Rumjammern kann“). Im selbigen Format musste sich Musikerin Mathea vor nicht allzu langer Zeit für ihr Outfit beim Benefizkonzert für die Ukraine rechtfertigen. 

Pick Me! 

Misogyn ist für Beraterin Zehetner, aber nicht nur die Abwertung der Frau, sondern eine generelle Feindlichkeit gegenüber dem vermeintlich Weiblichen. Das beginnt bei der Sorge- und Hausarbeit und endet im beziehungsorientierten Handeln. „Die eigene Care-Arbeit wird abgewertet, aber auch ganz generell das Weiche und Emotionale, ebenso bei Männern.“ Frauen, die sich von anderen Frauen abgrenzen wollen, entledigen sich der negativ konnotierten, weiblich gelesenen Eigenschaften und üben sich in klassisch-männlichem Gehabe. Im Netz gibt es dafür natürlich längst einen Namen: Pick-Me-Girl. So werden Frauen genannt, die sich auf Kosten anderer Frauen bei Männern beliebt machen wollen. Das funktioniert allerdings nur solange die Frau im Gesamtpaket immer noch „weiblich genug“ erscheint, etwa durch normschönes Aussehen. Seinen Ursprung hat der Terminus in der Serie „Grey's Anatomy“, 2019 wurde er zum Meme. Ein solches Mädchen wird gerne als Bier und Fußball-begeistert karikiert, als eines, das keine Lust auf „Zickenterror“ hat, andere Mädchen zu emotional findet und lieber Burger als Salat isst. 

Ebenfalls Ausdruck der Abwertung von Frauen sind vermeintliche Komplimente wie dieses: „Du bist nicht wie die anderen Frauen.“ Das Unbewusste kennt kein Nein, sagte Freud einst. „Was das eigentlich aussagt ist: Ich vergleiche dich mit anderen Frauen“, erklärt Angelika Breser gegen Ende des Gesprächs. Dadurch würde Konkurrenz unter Frauen weiter angestachelt, andere Frauen einmal mehr als Bedrohung stilisiert (wie es in Kinderjahren von Disney-Filmen propagiert wurde).  „Sozialisiert in diesen Strukturen schenken wir Frauen uns gar nichts.“ Die eigene internalisierte Misogynie erkennen, sei ein wichtiger Schritt für die Entwicklung von Frauensolidarität, so Bettina Zehetner abschließend. Um es mit den Worten von Autorin Sophie Passmann zu sagen: „Ich will wie andere Frauen sein, andere Frauen sind toll.“ 

Frauen* beraten Frauen* ist eine Anlaufstelle für Frauen mit zwei Sitzen in Wien. Angeboten wird unter anderem psychosoziale Beratung, Rechtsberatung, Scheidungsbegleitung, Mediation und Laufbahnberatung. Immer wieder werden auch Workshops und Kulturveranstaltungen organisiert. 

frauenberatenfrauen.at

 


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