Lehrermangel

Ins Klassenzimmer ohne Lehramt

Mehr geeignete Quereinsteiger rasch in die Klassenzimmer bringen ist Ziel von Gesetzesänderungen und Initiativen.
Mehr geeignete Quereinsteiger rasch in die Klassenzimmer bringen ist Ziel von Gesetzesänderungen und Initiativen.(c) Getty Images/iStockphoto (Drazen Zigic)
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An vielen Schulen fehlt es an Lehrpersonal, vor allem im Mint-Bereich, aber auch in Sport und kreativen Fächern. Quereinsteiger sollen helfen, die Situation zu entlasten.

In vielen Schulen gibt es Engpässe beim Lehrpersonal. Und dennoch muss der Unterricht stattfinden. Das bedeutet Überstunden für viele Pädagogen und damit auch Überlastung. Vielerorts werden Lehramtsstudierende frühzeitig im Unterricht eingesetzt sowie pensionierte Lehrer mittels Sondervertrag wieder zurück ins Klassenzimmer geholt. Die Pädagogikausbildung für angehende Volksschullehrer soll nun überdacht und verkürzt werden. An AHS und Mittelschulen könnten Quereinsteiger die Situation entlasten. Berechtigt dazu sind Absolventen facheinschlägiger Studienrichtungen, die inhaltlich mit Unterrichtsfächern verwandt sind, wie etwa Wirtschaftswissenschaften oder Germanistik. In den Berufsschulen und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen gibt es diese Möglichkeit schon länger, in den AHS und Mittelschulen soll das ab kommendem Schuljahr auch einfacher werden und als „Quereinstieg neu“ in die Auflage gehen („Die Presse“ berichtete). „Aktuell sind 82 Stellen offen, die Zahlen ändern sich allerdings täglich. Vor allem in den Mint-Fächern, also Mathematik, Chemie, Physik oder Informatik wird Personal gesucht“, sagt Robert Stiedl von der Bildungsdirektion Wien. Bundesweit sieht es ähnlich aus: „Personal fehlt im Sport und in den kreativen Fächern“, sagt die zuständige Sektionschefin im Bildungsministerium Margareta Scheuringer.

Quer aus allen Fächern

Der Weg in die Klassenzimmer erfolgt üblicherweise durch die Pädagogischen Hochschulen (PH) im Bereich der Volksschulen bzw. durch ein Lehramtsstudium für AHS und Mittelschulen. Gemeinsam mit den Universitäten soll nun ab Herbst 2022 im Bildungsministerium ein mehrstufiges Auswahlverfahren entwickelt werden, das den Quereinstieg auch aus anderen Studienrichtungen möglich macht. Die Bundesländer Niederösterreich, Steiermark, Oberösterreich und Vorarlberg starten Pilotprojekte. Bewerben wird man sich über die österreichweite Plattform „Get Your Teacher“ bzw. die Bildungsdirektionen selbst. Voraussetzung ist ein abgeschlossenes Studium sowie drei Jahre Berufserfahrung in seinem jeweiligen Fachbereich. Pädagogische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Erfüllt man diese Kriterien, folgt ein umfangreiches Assessment Center, bei dem eine Kommission über die Eignung entscheidet. „Wir sehen das als Weiterbildungsmaßnahme, nicht als Ausbildung“, sagt Scheuringer, die in diesem Projekt einen bildungspolitischen Meilenstein sieht. Indem Quereinsteiger als Lehrer angestellt werden, sollen schlecht bezahlte Sonderverträge, wie sie bis jetzt eingesetzt wurden, der Vergangenheit angehören.

Ist das Assessment Center geschafft, kann man sich direkt bei den Schulen bewerben oder wird über die Bildungsdirektionen einer zugeordnet. In einer zweiwöchigen On-Boarding-Phase lernt man Schulrechtliches und Praktisches, wie Leistungsbeurteilung oder Classroom-Management. „Wir wollen den Lehrerberuf attraktiv machen und die Leute ins Klassenzimmer holen. Unterrichtet wird von Tag eins an“, sagt Scheuringer.

Rasch in die Schule

Schnell in die Praxis gehen ist auch die Devise von Teach for Austria, einem zweijährigen Fellowship-Programm, das Akademiker mit unterschiedlichem Werdegang für das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernem Umfeld fit macht. Die Initiative setzt gezielt auf Quereinsteiger. „Für uns sind sie wichtiger Impulsgeber, die bestehende Strukturen mit Inputs von außen bereichern. Wir sehen uns daher vorrangig als intensives Leadership-Programm“, sagt Teach for Austria-Sprecher Christoph Seda. Bewerben kann man sich über eine Onlineplattform, danach folgt ein telefonisches Vorgespräch. Das Auswahlverfahren ist umfangreich und durchläuft mehrere Stationen bis zur Lehrprobe, bei der man – unter sehr realistischen Bedingungen – eine Unterrichtseinheit gestaltet und abhält. Für kommenden Jahrgang werden noch bis Februar Kandidaten gesucht, bevor es über den Sommer in eine zwölfwöchige Intensivphase geht. „Unser Fokus liegt dabei auf der Frage ,Was braucht man wirklich von Tag eins an?‘ Egal, wie der berufliche Background aussieht, wir wollen unsere Fellows intensiv darauf vorbereiten, schnell ins Tun zu kommen“, sagt Elisabeth Witzani, COO bei Teach for Austria, die im Rahmen von Expertengremien an der Planung des „Quereinstieg neu“ des Bildungsministeriums mit den PH und Universitäten beteiligt ist. Zwei Jahre lang werden die Fellows von Trainern begleitet, machen laufend Aus- und Weiterbildungen, etwa in Didaktik. Einsatzort sind Mittelschulen, Polytechnische Schulen und Kindergärten. „Unterrichten ist in vielerlei Hinsicht ein Handwerk, das sich üben und trainieren lässt“, sagt Witzani, die den Quereinstieg als wesentlichen Faktor für die Zukunft in der Bildung sieht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2022)

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