Symbiose

Kunst als Wegbereiter für die Forschung

Kunst ein Mehrwert für die Gestaltung der Gesellschaft.
Kunst ein Mehrwert für die Gestaltung der Gesellschaft. REUTERS
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Wie Kunst und Wissenschaft zusammenspielen, zeigt das Austrian Institute for Technology. Forschung inspiriert künstlerisches Schaffen und regt zum Nachdenken über Aufgaben und Funktion des Zusammenspiels an.

Sind Wissenschaft und Kunst tatsächlich, wie man sagt, „zwei verschiedene Paar Schuh“? Nicht unbedingt, meint Wolfgang Knoll, Managing Director des Austrian Institute for Technology (AIT). Seine Forschungseinrichtung demonstriert seit mittlerweile sechs Jahren mit dem Programm „Art Tech“, wie eine Symbiose aussehen kann: Junge Kunstschaffende werden regelmäßig eingeladen, ihre Visionen des Zusammenspiels beider Welten im Headquarter des AIT in der Giefinggasse in Wien Gestalt werden zu lassen.

Zuletzt war das die Wiener Digital- und Installationskünstlerin Judith Fegerl, deren Skulpturen unter dem Titel „Capture“ mithilfe eines Hochspannungsgenerators entstanden sind: Elektrische Entladungen schmolzen Sand, der sich sodann zu unterschiedlichen Formen verfestigte. An einem Ort, an dem Forschende normalerweise an Lösungen für innovative Energieerzeugung tüfteln, entstanden auf diese Weise durch Energie erzeugte Artefakte, die, wie Fegerl sagt, „künstlerisch initiiert, aber nicht kontrolliert“ sind – eine Erfahrung, die ihr weiteres Wirken beeinflussen werde. Für Wolfgang Knoll ist es die Kreativität, die als treibende Kraft sowohl Kunstschaffende als auch Forschende zur Umsetzung eigener Ideen anspornt und damit einen gemeinsamen Berührungspunkt bildet.

Die Grenzen aufheben

Partner des AIT im „Art Tech“-Programm ist die Wiener Universität für angewandte Kunst. Deren Rektor, Gerald Bast, beschwor in einem Pressegespräch die Aufhebung der strikten Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, so wie sie an der Universität bereits in die Lehre eingeflossen sei. Dort gibt es mit „Trans Arts“ ein Studium, das Kunstpraxis und Kunsttheorie vereint, mit „Art and Science“ ein Studium, das, so Bast, „aus Blick der Künstler die Wissenschaft dekonstruiert bzw. neu konstruiert“, und mit „Cross-disciplinary Strategies“ eine Ausbildung, die „den Bogen spannt von künstlerischen Methoden über Philosophie bis hin zu Gentechnik und künstlicher Intelligenz“. Bast: „Natürlich brauchen wir Spezialisten in der Malerei ebenso wie in der Quantenphysik, aber wir brauchen auch Spezialisten in der Despezialisierung, die ein Verständnis der Grundprinzipien und Wirkungsmechanismen der jeweils anderen Disziplin haben und beide zusammenführen.“

Nutznießer des dadurch forcierten nonlinearen Denkens sei letztlich die Gesellschaft. Es werde ein fruchtbares geistiges Umfeld geschaffen, in dem Kunst als Wegbereiter für Wissenschaft und Forschung fungiere. Die Mondlandung etwa sei nicht nur der Nasa zu verdanken, sondern auch dem Schriftsteller Jules Verne, dessen Roman „Die Reise zum Mond“ bereits mehr als 100 Jahre davor „das Mindset geschaffen hat“ für das Interesse am Weltall und für die spätere wissenschaftliche Forschung.

Kunst sei nicht etwas, „was in Galerien steht und teuer ist“, sondern in den Köpfen der Menschen etwas bewirkt, und daher ein Mehrwert für die Gestaltung der Gesellschaft. Fegerl formuliert es so: „Das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft wirkt nicht auf der Ebene von Werken oder Objekten, sondern in den Köpfen.“

Das nächste Projekt im Rahmen von „Art Tech“ werde sich mit künstlicher Intelligenz befassen, kündigt Knoll an. Für die Umsetzung sorgen die Wiener Künstler Martin Grödl und Moritz Resl alias Process Studio.

LEXIKON

Kunst bezeichnete zunächst alle Produkte menschlichen Schaffens und stand damit im Gegensatz zur Natur. Seit der Aufklärung wird der Begriff im engeren Sinne für die Ergebnisse oder den Prozess kreativer Tätigkeit verwendet. Anders als in der Wissenschaft stellt sich bei der Kunst nach heutigem Verständnis nicht die Frage nach der Wahrheit, vielmehr steht die Ästhetik im Mittelpunkt. Der aktuelle Diskurs will diesen Gegensatz auflösen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2022)

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