Junge Forschung

Auf Biegen und Brechen: Wie Kunststoff länger überlebt

Die Mischung aus Mechanik und Chemie faszinierte Anja Gosch schon in der Schule. Nun wurde sie für kreative Werkstoff-Prüfmaschinen ausgezeichnet.
Die Mischung aus Mechanik und Chemie faszinierte Anja Gosch schon in der Schule. Nun wurde sie für kreative Werkstoff-Prüfmaschinen ausgezeichnet.H. Wakolbinger
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Die Kunststofftechnikerin Anja Gosch hat Werkstoffproben unter Last geprüft. Ihre Erkenntnisse können die Lebensdauer von Kunststoffkomponenten verlängern.

„Kunststoff an sich ist nicht das Problem, sondern der Umgang damit“, sagt die an der Montanuniversität Leoben promovierte Kunststofftechnikerin Anja Gosch. Der Ruf des Materials habe in den vergangenen Jahren leider etwas gelitten, aber wenn man bedenke, dass ein Alltag ohne es nicht möglich wäre, sei es umso wichtiger, sich damit auseinanderzusetzen. Kunststoff werde in der Industrie bei einfachen Bauteilen wie Rohren, aber auch bei komplexen Komponenten wie Propellerrädern in der Flugzeugindustrie und bei Riemenspannrollen in Autoaggregaten eingesetzt. In nahezu allen Lebensbereichen komme man mit dem Werkstoff in Berührung.

Auf die Frage, wie sie den Weg zur Kunststofftechnik gefunden habe, sagt sie, dass sie ursprünglich eine kaufmännische Ausbildung in einer HBLA begonnen habe. Weil sie das Kaufmännische aber zu wenig interessierte, schmiss sie nach drei Tagen das Handtuch und wechselte in die HTBL Kapfenberg. Eigentlich wollte sie dort etwas mit Maschinenbau machen, aber da sei nur mehr ein Ausbildungsplatz für Kunststoff- und Umwelttechnik frei gewesen. „Die Mischung aus Mechanik und Chemie hat mich dann aber so fasziniert, dass ich dabei geblieben bin“, sagt Gosch. 2021 schloss sie ihr Doktorratsstudium für Werkstoffkunde und Prüfung von Kunststoffen an der Montan-Uni Leoben mit Auszeichnung ab.

Zwei Preise für ihre Arbeit erhalten

Im Dezember 2021 erhielt Gosch für ihre Dissertation gleich zwei Preise: Den ZwickRoell Science Award und den Wilfried-Ensinger-Preis. „Beim ZwickRoell Science Award handelt es sich um einen internationalen Preis eines deutschen Werkstoffprüfmaschinen-Herstellers“, sagt die 29-Jährige. Dabei gehe es um innovative und kreative Vorrichtungen für Werksstoffprüfmaschinen, die Teil ihres Doktorats waren. Der Wilfried-Ensinger-Preis werde vom wissenschaftlichen Arbeitskreis der Universitätsprofessoren der Kunststofftechnik mit Sitz in Stuttgart für den deutschsprachigen Raum ausgeschrieben. Dieser Preis zeichne Arbeiten aus, die Kunststoffe aus technischer Sicht charakterisieren, so Gosch.

„In meiner Arbeit konzentrierte ich mich auf das Erforschen der Bruchmechanik. Für Stahl ist da schon viel passiert. Bei Kunststoffen gibt es jedoch noch einiges zu tun“, erzählt sie. Die Theorie der Bruchmechanik dokumentiere, wie sich ein Riss in einem Werkstoff unter dem Einfluss von Kräften verhält und welchen Spannungszuständen er dabei ausgesetzt ist. Kunststoff verhält sich im Vergleich zu Stahl nicht linear, reagiere eher plastisch und breche schon unter geringeren Lasten. Das mache das mathematische Beschreiben recht komplex.

Des Weiteren untersuchte Gosch erstmals das Verhalten von Kunststoff mit einer „Mixed-Mode-Belastung“. Dabei geht es um das kombinierte und gleichzeitige Belasten von beispielsweise Zug- und Rotationskräften. Im Labor der Montan-Uni beanspruchte Gosch in unzähligen Stunden Werkstoffproben in einer Prüfmaschine mit Zug- und Querkräften so lange, bis sich die Teile verformten und brachen.

„Dafür habe ich Proben mit einem scharfen Messer geritzt, um einen Riss zu erzeugen und sein Verhalten unter Last zu beobachten“, sagt Gosch. Die Ergebnisse ihrer Arbeit fasste sie in ihrem Dissertationsprojekt zusammen, und die daraus gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen der Industrie, Kunststoffkomponenten effizienter und wirtschaftlicher zu dimensionieren. Denn damit kann die Lebensdauer gezielter vorhergesagt werden. Somit können vor allem industriell eingesetzte Teile nachhaltiger genutzt werden.

Der Wissenschaft hat sie vorläufig den Rücken gekehrt. Sie arbeitet derzeit in Linz bei einem internationalen Pharmakonzern in der Materialqualifizierung. „Ich wollte unbedingt mal Industrieluft schnuppern, um das Gelernte auch in der Praxis anwenden zu können“, sagt Gosch. Sie könne sich aber eine Rückkehr in die Wissenschaft absolut wieder vorstellen. In ihrer Freizeit reist sie mit ihrem Partner gern in ferne Länder wie Asien oder der guten Küche wegen auch nach Italien.

ZUR PERSON

Anja Gosch (geboren 1993 im steirischen Breitenau) maturierte in Kapfenberg an der HTBL für Kunststoff- und Umwelttechnik. An der Montan-Uni Leoben schloss sie 2017 den Master für Werkstoffkunde und Prüfung von Kunststoffen ab. Im Doktorat kooperierte sie mit dem PCCL (Polymer Competence Center Leoben), der Università degli Studi di Brescia und der Czech Academy of Sciences.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2022)

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