Eines der seltenen privaten Sichtbetonhäuser in Österreich: das Haus Stricker, erbaut 1968. Nun soll es abgerissen werden.
Architektur

Wohnen wie in den 1960ern

Weil der „brutalistische“ Baustil eines Wohnhauses in Wien-Mauer dem neuen Besitzer nicht gefällt, droht der Abbruch. Aber was ist mit dem kulturellen Wert? Sichtbeton sollte als anregend verstanden werden – genau wie die Wotrubakirche zum Denken animiert, die sich nur zwei Gassen weiter findet.

Um ungeschminkte Betonarchitektur zu erfassen, kommen Architekturinteressierte seit fünfzig Jahren auf den Georgenberg in Wien-Mauer. Dort steht die Kirche „Zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ (1976), bekannt als „Wotrubakirche“. Das Bauwerk aus aufeinander geschachtelten Stahlbetonquadern mit Glasfeldern in den Zwischenräumen imponiert noch immer mit archaischer Kraft, die der Bildhauer Fritz Wotruba und der Architekt Fritz Gerhard Mayr der Raumplastik verliehen haben. Diese einzigartige Form für einen Kirchenbau hatte Wotruba bereits zehn Jahre zuvor für einen anderen Ort entwickelt; er wurde also nicht vom Genius Loci inspiriert, obwohl es auf dem Georgenberg zu der Zeit bereits Bauten in Sichtbeton gab.

Einerseits wurde die Kirche auf einem Grundstück des Bundes errichtet, wo „gewaltige Bagger die Betonsockel der Kaserne der Deutschen Wehrmacht aus dem Boden rissen“, wie im Liesinger Bezirksführer von Rudolf Spitzer nachzulesen ist. Bruno Kreisky und Bürgermeister Leopold Gratz hätten sich persönlich dafür eingesetzt, dass Wotrubas Wunsch in Erfüllung ging, einen Bauplatz zu finden, wo der Blick weit ins Land reichte. Dies war auf der Anhöhe in Mauer gegeben, und die Errichtung eines Sakralbaus, entworfen vom wichtigsten österreichischen Bildhauer seiner Zeit, bot eine gute Gelegenheit, die Ruinen der Nazi-Kaserne abzureißen. Noch immer zeugen in der Nähe der Kirche verwitterte Betonmauern vom Kasernengelände, der Blick ins Umland ist mittlerweile zugewachsen.

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