Interview

Johannes Rauch: "Das hat mit grüner Politik nichts zu tun"

Impfpflicht? „Für SPÖ und Neos war das nicht lustig“, sagt Johannes Rauch.
Impfpflicht? „Für SPÖ und Neos war das nicht lustig“, sagt Johannes Rauch. (c) Die Presse/Clemens Fabry
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Man dürfe einen Teil der Gesellschaft nicht einfach aufgeben, sagt der Grünen-Politiker Johannes Rauch. Er wünscht sich eine Aufarbeitung der Pandemie, ärgert sich über Madeleine Petrovic und plädiert für neue grüne Grundsätze.

Die Presse: Die Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte werden aufgehoben, die Eingangsbeschränkungen in Lokalen oder im Handel bleiben. Ihrem Regierungskollegen, Landeshauptmann Markus Wallner, behagt das nicht: Er verlangt das Ende der 2-G-Regel. Sie auch?

Johannes Rauch: Ich mag es nicht, wenn die schwarzen Länder ihre Differenzen mit den roten öffentlich austragen. Der Wiener Gesundheitsstadtrat sagt: Die 2-G-Regel passt eh, sie soll bleiben. Die schwarzen Landeshauptleute sagen: aufmachen. Das ist die übliche Kakofonie, die die Leute nicht mehr hören können. Man sollte sich mit der Bundesregierung zusammensetzen – und auch jene Oppositionsparteien in die nächsten Öffnungsschritte einbinden, die die Impfpflicht mitbeschlossen haben. Für die SPÖ und die Neos war das nicht wirklich lustig.

Das heißt aber, dass auch Sie für weitere Öffnungsschritte sind.

Natürlich braucht es jetzt Öffnungsschritte, aber die soll man einstimmig verabschieden. Auf die eine Woche früher oder später kommt es auch nicht an.

Steht auch die Impfpflicht zur Disposition, nachdem Omikron weniger lebensbedrohlich ist?

Nein, ich bin froh, dass die Impfpflicht beschlossen wurde, auch in dieser Deutlichkeit. Man kann sie ja nicht nur an Omikron ausrichten. Ich hoffe, dass die Virologen recht haben, die sagen, das Virus werde danach endemisch. Aber wir wissen alle zusammen nicht, was im Herbst kommt. Jetzt sollten wir uns einmal um die Begleitschäden der Pandemie kümmern.

Was schlagen Sie vor?

Aufarbeitung. Junge Menschen sind in ihrer Entwicklung gehemmt worden, alleinerziehende Mütter haben im Home-Office unglaublich viel leisten müssen. Und dann sind da noch die demokratiepolitischen Dinge: Die Corona-Sondergesetze haben es ermöglicht, im Erlassen von Verordnungen, im Fassen von Beschlüssen Abkürzungen zu nehmen. Ich mag nicht, dass wir uns daran gewöhnen.

Und das heißt?

Als nächster Schritt sollten die Sonderbestimmungen für Legislative und Exekutive außer Kraft treten. Regierungen und Parlamente auf allen Ebenen müssen wieder in den verfassungsrechtlichen Normalbetrieb zurückkehren.

Der oberösterreichische Landtag hat diese Woche beantragt, dass der Bund nach deutschem Vorbild Eilverfahren beim VfGH ermöglichen soll, damit schneller klar ist, ob Maßnahmen wie die Impfpflicht rechtmäßig sind. Ist das eine Idee, die Ihnen zusagt?

Ich halte unsere Rechtsordnung für ausreichend, um die Notbremse ziehen zu können, wenn es darauf ankommt. Man kann sich überlegen, ob man die Verfahren verbessert. Aber bei Schnellverfahren bin ich skeptisch, denn das geht dann meist Hand in Hand mit einer wenig sorgfältigen Prüfung.

Zwei Jahre Pandemie haben auch zwischenmenschlich Spuren hinterlassen. Von einer Spaltung der Gesellschaft ist die Rede. Lässt sich das kitten?

Ich würde sagen, es ist eine Verpflichtung der Mehrheit, die hinter der Impfpflicht und den Maßnahmen steht, jenen eine Brücke zu bauen, die sich abgekoppelt haben; die nicht den Rechtsradikalen hinterherrennen, sondern einfach verunsichert sind. Wir müssen rauskommen aus der Geschichte, dass die einen von „Covidioten“ und die anderen von „Faschisten“ sprechen. Das geht sich nicht aus.

Wie kann Annäherung gelingen?

Wir brauchen Formate, die nicht nur auf der intellektuellen Ebene angesiedelt sind: Bürgercafés und Foren, die alle einbinden. Es geht darum, sich wieder zu treffen und zu lernen, nicht gegeneinander zu posten, sondern miteinander zu reden – soll sein: zu streiten.

Was macht Sie so zuversichtlich, dass sich diejenigen, die sich abgekoppelt haben, an einen gemeinsamen Tisch setzen wollen?

Ich bin gar nicht zuversichtlich, aber ich halte das für eine Notwendigkeit. Der Versuch muss unternommen werden. Und das ist Aufgabe der Politik. Ich kann diesen Teil der Leute nicht einfach aufgeben. Die klinken sich sonst dauerhaft von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aus und radikalisieren sich weiter.

Aber ist es nicht vielleicht auch so, dass die Pandemie etwas zum Vorschein gebracht hat, das vorher schon da war: Viele Menschen fühlen sich politisch offenbar nicht mehr vertreten und wenden sich gegen das „System“.

Das würde ich teilen. Da wird es schon ein genaueres Hinschauen brauchen: Was ist da passiert? Wahrscheinlich werden wir dann auf verteilungspolitische Fragen treffen, auf Löhne, Einkommen, Lebenshaltungskosten, insbesondere Mieten. Und neben der Pandemie sind zuletzt auch noch ein paar andere Dinge passiert: die unsäglichen Chats, der Rücktritt von Sebastian Kurz. Die Korruption ist noch nicht wirklich beseitigt. Und der Wunsch, es möge wieder so werden wie vorher, ist eigentlich eine gefährliche Drohung.

Was bedeutet es für die Parteien, wenn sich Rechtsextreme und Esoteriker hinter demselben Ziel versammeln können? Ist das der Anfang vom Ende der Parteiendemokratie?

Möglicherweise ist das so. Aber die Fundamente, die wir über Jahrhunderte erstritten haben, dürfen nicht verloren gehen: Menschenrechte, Gewaltenteilung, parlamentarische Demokratie. Darum zu ringen – darüber sollten sich die Parteien, die sich innerhalb des Verfassungsbogens befinden, verständigen. Wie soll die Zukunft sonst gestaltet werden? Mit einem chinesischen System? Mit dem System eines Peter Thiel (neuer Arbeitgeber von Sebastian Kurz, Anm.), der der Auffassung ist, dass man sich das ganze parlamentarische Gedöns schenken kann? Nein.

Die Risse gehen auch durch Ihre Partei: Der von den Grünen nominierte Martin Hämmerle musste als Stadtrat von Dornbirn gehen, nachdem er die Impfpflicht mit dem Faschismus in Verbindung gebracht hatte.

Von dieser Aussage habe ich mich augenblicklich distanziert, denn das geht gar nicht. Und wenn man noch den Kontext zum Holocaust-Gedenktag am 27. Jänner herstellt, dann sollte man halt nicht so geschichtsvergessen sein und bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Gesundheitsdiktatur oder Faschismus reden, das ist ja jenseitig. Es relativiert die Ereignisse von damals.

Madeleine Petrovic wiederum, einst Bundessprecherin der Grünen, hat bei einer Wiener Demo gegen die Impfpflicht dem Publikum zugerufen: „Hier steht niemand, der von Pfizer bezahlt wird. Hier steht niemand, der von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung bezahlt wird.“

Ich halte das für unerträglich, davon distanziere ich mich. Das kann man nicht hinnehmen.

Petrovic sagt, sie lebe das grüne Parteiprogramm.

Das hat mit grüner Politik nichts zu tun.

Aber im Gesundheitskapitel des grünen Grundsatzprogramms steht: „Der immer rasantere Fortschritt der medizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung und Entwicklung wirft gesellschaftliche Probleme auf, die eine öffentliche und fachübergreifende Diskussion über allgemeine und spezielle medizinische Ethik erfordern.“ Ist das noch zeitgemäß?

Nein, das ist vor Jahrzehnten beschlossen worden. Insofern sollte man die Aussagen zum Anlass nehmen, um das zu überarbeiten.

Kann es sein, dass Teile der Grünen – insbesondere die Gründergeneration – ein Problem mit Wissenschaft und einen Hang zu Esoterik haben?

Nein, ich halte das für ein Randphänomen. Da hat sich viel weiterentwickelt. Ich würde behaupten, das trifft überhaupt nicht mehr zu. Die Leute, die heute im Parlament sitzen, haben ja zum größten Teil einen Wissenschaftshintergrund und sind komplett jenseits von irgendwelchen esoterischen Anwandlungen oder Lebenswelten.

Petrovic hat die Mitgliedschaft bei den Grünen schon länger ruhend gestellt. Sollte Sie aus der Partei ausgeschlossen werden?

Nein, für solche Brachialakte bin ich nicht zu haben. Nicht bei diesem Anlass. So viel wird man aushalten und ausdiskutieren können.

ZUR PERSON

Johannes Rauch (62) ist seit 2014 Mitglied der schwarz-grünen Landesregierung in Vorarlberg, zuständig unter anderem für Umwelt, Klimaschutz und Verkehr. Ende Juni hat er sich nach 24 Jahren als Vorarlberger Landessprecher zurückgezogen. Bundespolitisch gilt er als einer der einflussreichsten Grünen.

Vor seiner politischen Laufbahn war Rauch als Sozialarbeiter tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2022)

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