Italien

Wie Sergio Mattarella Rom vor der nächsten Krise bewahrt hat

Mit seiner Zustimmung zu einer zweiten Amtszeit hat Sergio Mattarella eine Krise abgewendet.
Mit seiner Zustimmung zu einer zweiten Amtszeit hat Sergio Mattarella eine Krise abgewendet. AFP/picturedesk.com
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Eigentlich wollte der beliebte Staatschef in Pension gehen. Mangels Alternativen bleibt er jetzt doch im Amt.

Rom. Einen Tag nach der Wiederwahl von Sergio Mattarella zum Staatschef war die Erleichterung in Italien allgegenwärtig. „Il presidente di tutti noi“ (Der Präsident von uns allen) jubelte die römische Tageszeitung „La Repubblica“ auf ihrer Titelseite und betonte die breite Mehrheit, mit der der Präsident im Amt bestätigt wurde: Mit 759 Stimmen hatte der 80-Jährige die zweitmeisten Stimmen bei Präsidentenwahlen in der republikanischen Geschichte Italiens nach dem überaus populären Ex-Partisanen Sandro Pertini im Jahr 1978 erhalten. Das Duo Mattarella und Premier Mario Draghi werde „Italien aus dem Sturm führen“, so das Blatt.

Vorausgegangen war der Wiederwahl des amtsmüden Präsidenten am späten Samstagabend ein chaotisches fünftägiges Wahldrama, in dem sich die Parteien, die unter Premier Mario Draghi eine breite Regierungskoalition bilden, nicht auf einen Kandidaten hatten einigen können. Nach sieben vergeblichen Wahlgängen hatte sich Draghi an den Amtsinhaber gewandt und ihn gebeten, um der Stabilität Italiens willen doch für eine zweite, siebenjährige Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Mattarella sagte letztlich zu. Dabei hatte der Sizilianer in den vergangenen Monaten gebetsmühlenartig betont, dass er keinesfalls wiedergewählt werden wollte. Sogar Fotos von seinen voll gepackten Umzugskartons waren von seinen Mitarbeitern aus dem Präsidentenpalast schon verbreitet worden.

Machtvakuum verhindert

Mattarellas Weigerung hatte nicht nur persönliche Gründe, obwohl er kein Hehl daraus machte, dass er sich mit 80 auf den Ruhestand freute. Der Jurist äußerte auch demokratiepolitische Bedenken: 14 Jahre seien für einen Präsidenten zu lang, zumal eine zweite Amtszeit des Staatsoberhaupts in Italien alles andere als Usus sind: Bisher wurde nur 2013 Giorgio Napolitano wiedergewählt – auch er nur auf Drängen des Parlaments.

Nun kehrt Italien also zum Status quo zurück, ein Machtvakuum wurde vorerst verhindert. Die Ruhe dürfte aber nicht lange anhalten; 2023 stehen reguläre Neuwahlen an, der Wahlkampf wird heuer beginnen. Die ohnehin zerstrittenen Regierungsparteien dürften sich im Zuge dessen noch weiter voneinander entfernen. Wobei die wenigsten an einer Neuwahlen interessiert sein dürften: Aufgrund einer Reform wird nach der nächsten Wahl das Parlament verkleinert, das bedeutet, das möglicherweise viele Abgeordnete ihren Job verlieren. Zudem steht noch die Änderung des derzeit komplizierten Wahlgesetzes an, eine Mischform aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht.

Mattarella wird in dem Prozess eine wichtige Rolle spielen: In Italien muss der Präsident Gesetzen zustimmen, auch agiert er als Stabilitätsanker in Krisen: Er setzt den Premier ein, kann das Parlament auflösen, muss die Nominierung von Ministern absegnen. Der erfahrene Mattarella hat in den tumultuösen vergangenen sieben Jahren bewiesen, die richtige Person dafür zu sein.

In der an fragwürdigen Gestalten reichen italienischen Politik zählt er zu den geschätztesten Persönlichkeiten. Seit Jahrzehnten beeinflusst der 1941 in Palermo geborene Katholik maßgeblich die Geschicke des Landes. Mattarella gilt als wortkarg, aber höchst integer. Selbst seine Kritiker schätzen seine Kompetenz. Eine politische Karriere wurde ihm fast in die Wiege gelegt: Sein Vater zählte in den 1950ern und 1960ern zu den führenden Politikern der Democrazia Cristiana (DC), für die er mehrfach Minister war. Trotzdem zog es Mattarella nach seinem Jus-Studium zunächst in eine akademische Laufbahn. An der Uni Palermo lehrte er als Professor für parlamentarisches Recht. Ein familiäres Trauma war es dann, das ihn in die Politik trieb: Am 6. Jänner 1980 wurde sein Bruder Piersanti, Präsident der Region Sizilien, in Palermo von Mitgliedern der Cosa Nostra erschossen. An diesem Tag beschloss Mattarella, sich der Politik und dem Kampf gegen die Mafia zu widmen.

Lange Karriere als Abgeordneter

1983 wurde Mattarella ins Parlament gewählt. Abgeordneter blieb er bis 2008, zunächst für die DC, dann für deren Nachfolgeparteien. Später zählte er zu den Gründern der sozialdemokratischen Partei PD. Er gehörte mehreren Regierungen als Minister an.

Als Staatschef hat Mattarella turbulente Phasen mit zahlreichen Regierungskrisen erlebt. Nachdem Giuseppe Contes Koalition im Februar 2021 zerfallen war, setzte sich Mattarella für eine Mehrparteienregierung unter dem Ex-EZB-Chef Mario Draghi ein.

Als Präsident hat Mattarella auch in der Pandemie eine entscheidende Rolle gespielt. Wiederholt machte er den Italienern in den dramatischsten Phasen der Pandemie im Frühjahr 2020 Mut und rief das Land zum Zusammenhalt auf. So besuchte er wiederholt die am stärksten betroffenen Gemeinden in der Lombardei. (raa, basta, APA)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2022)

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