Baustellen-Besetzung

Festnahmen bei Räumung des Klimacamps in Wien

WIEN: RAeUMUNG DES LOBAU-PROTESTCAMPS
WIEN: RAeUMUNG DES LOBAU-PROTESTCAMPSAPA/TOBIAS STEINMAURER
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Nach fünfmonatiger Besetzung hat die Polizei das Klimacamp auf einer Baustelle für die Stadtstraße in Wien-Donaustadt geräumt. Die Aktivisten leisteten „passiven Widerstand“, zwei ketteten sich an Gebäude. Am frühen Nachmittag verkündete die Polizei das Ende der Besetzung.

Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit: Nach fünf Monaten wird die Besetzung einer Baustelle durch Klimaaktivisten in Wien-Donaustadt aufgelöst. Die Polizei rückte am Dienstag Vormittag mit einem großer Aufgebot an, um das Protestcamp zu räumen. Die Aktivisten und zahlreiche Umweltorganisationen riefen wiederum auf den Sozialen Medien dazu auf, zum Ort des Geschehens zu kommen. Diesem Aufruf folgten zahlreiche Unterstützer der Besetzung - obwohl zunächst die Stationen der Wiener Linien rund um die besetzte Baustelle weitläufig gesperrt waren. Die Aktivisten gaben ihr Klimacamp jedenfalls nicht widerstandslos auf. Wie die Polizei berichtet, kam es zu zwölf Festnahmen.

Die Polizei forderte die Aktivisten Dienstag kurz nach 8 Uhr auf, die Versammlung aufzulösen. Den rund ein Dutzend anwesenden Personen wurde eine kurze Frist gesetzt, das Gelände freiwillig zu verlassen, berichtete Polizeisprecher Markus Dittrich. Zuvor habe es von der Stadt Wien ein Ersuchen an die Polizei gegeben, die Versammlung aufzulösen.

Ein Teil der Aktivisten verließ selbst das Gelände, andere wurden von der Polizei entfernt und in Gewahrsam genommen. Zwei Aktivisten ketteten sich jedoch innerhalb der „Pyramide“, dem Hauptgebäude des Camps, aneinander sowie an das Gebäude. Dabei dürften sie einzementierte Rohre benutzt haben, die nur mit technischen Hilfsmitteln entfernt werden konnten.

Polizei erklärt Besetzung für beendet

Auf diese angeketteten Aktivisten konzentrierte sich in den folgenden Stunden der Polizeieinsatz. Zunächst rückte die Feuerwehr an, um zwei Aktivisten, die sich in der Holzpyramide des Protestcamps „technisch fixiert" haben, „loszuschneiden“. Bis am frühen Nachmittag wurde versucht, die Aktivisten aus dem Gebäude zu bringen. Gegen 13 Uhr dürfte dies gelungen sein. Wenig später rückte schon ein Bagger an, der die Pyramide schließlich zerstörte. Die Nebengebäude waren schon davor abgerissen worden. Kurz darauf verkündete die Polizei das Ende der Besetzung.

Im Laufe der Räumung kam es zuvor zu einer Art Versteckspiel zwischen der Polizei und den Aktivisten. Nachdem die Polizei die Zäune für die Baustelle wieder aufstellte, wurden diese von Aktivisten teilweise wieder umgerissen. Die Polizisten liefen den Aktivisten daraufhin hinterher, brachten sie zu Boden und hielten sie fest. Dabei kam es auch zu einigen Festnahmen, wie die Polizei Wien auf Twitter bestätigt. Die Polizei soll dabei auch Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt haben, berichten Aktivisten. Die anderen Aktivisten und Teilnehmer einer Solidaritätskundgebung skandierten währenddessen "Lasst sie frei" und "Lobau bleibt".

Teresa Wirth

Entlang der Trasse für die Stadtstraße wurden zeitgleich zur Räumung hunderte Bäume gefällt. Die insgesamt 380 Bäume müssten gemäß UVP-Bescheid gerodet werden, erklärte der Leiter der Straßenbauabteilung MA 28, Thomas Keller. Es sei jedoch geplant, eine Ersatzpflanzung von insgesamt 1.000 Bäumen vorzunehmen - unter anderem in den neuen Stadtteilen, die dort errichtet würden. Umweltaktivisten, unter anderem von der Organisation „System Change, not Climate Change“, demonstrieren nun auch gegen diese Rodungen. Sie haben einen Bagger sowie einige Bäume besetzt.

WIEN: LOBAU STADTSTRASSE - BAUMRODUNG
WIEN: LOBAU STADTSTRASSE - BAUMRODUNGAPA/TOBIAS STEINMAURER

Die Baustelle selbst war Ende August besetzt worden, um gegen die Straßenbauprojekte Lobautunnel und Stadtstraße im Norden Wiens zu demonstrieren. Gespräche zwischen der Stadt Wien und Klimaaktivisten, um den Konflikt friedlich zu lösen, waren ergebnislos verlaufen.

Aktivisten wollen "passiven Widerstand leisten"

Schnell aufgeben wollen die Aktivisten aber offenbar nicht, wie Lena Schilling, Sprecherin des Jugendrats und der Initiative „Lobau Bleibt", ankündigte: "Wir wollen auf jeden Fall passiven Widerstand leisten." Man sei seit Wochen "räumungsbereit gewesen", sagte sie weiters - aber dass es jetzt passiere, sei schon überraschend gewesen: "Wir versuchen jetzt alles, was geht, hinzumobilisieren.“ Einige Organisationen riefen zu einer Solidaritätskundgebung auf.

Ein Problem dabei: Um etwaige Sympathisanten am Kommen zu hindern war der Ort des Einsatzes großräumig abgesperrt. So wurde etwa die U2-Station Hausfeldstraße, mit der man am schnellsten zum Protestcamp kommt, mehrere Stunden nicht angefahren. Das sei, heißt es bei den Wiener Linien, auf Anweisung der Polizei erfolgt. Ebenfalls von der Sperre betroffen waren die Straßenbahnlinien 25 und 26 sowie die Buslinien 85 A, 95 B, 97A. Die Einschränkungen sind mittlerweile laut Wiener Linien wieder aufgehoben. Die Empörung in den Sozialen Medien über die Sperre der U2-Station war groß. Trotz den Sperrung fanden zahlreiche Unterstützer der Proteste den Weg zum Camp und dem Schauplatz der Räumung. Die Wiener Gruppe der Fridays for Future schreiben auf Twitter, dass sich „hunderte Menschen solidarisch zeigen.“

Screenshot Wien Mobil

Die Polizei sah sich am Dienstag Vormittag gut aufgestellt, wie Sprecher Dittrich sagte: „Es sind ausreichend Polizeikräfte im Einsatz und wir sind natürlich so aufgestellt, dass wir das Ganze auch zu einem Ende bringen können, wenn zahlreiche Sympathisanten eintreffen würden.“ Auch die Spezialeinheit WEGA war vor Ort.

Videos und Fotos der Räumung, die auf Sozialen Medien geteilt wurden, zeigen ein großes Polizeiaufgebot - so auch diese Aufnahmen von Lukas Hammer, Umweltsprecher der Grünen. Bei diesem wie vielen anderen stieß die massive Polizeipräsenz auf Unverständnis. Gegen ein paar Klimaaktivisten werde aufmarschiert, die Corona-Maßnahmengegner lasse man jeden Samstag durch Wien marschieren, kritisierte der grüne Nationalratsabgeordnete. „Hier fehlt die Verhältnismäßigkeit“

Stadt will rasch mit Bauarbeiten fortfahren

Die MA 28 als Projektbetreiber will nach der Räumung jedenfalls rasch mit den Bauarbeiten fortfahren, kündigte sie in einer Aussendung an: "Wir haben als Stadt Wien auf sämtlichen Ebenen seit Oktober versucht, in Gespräche mit den Besetzerinnen und Besetzern zu kommen. Es gab dazu unzählige Angebote, leider ohne Erfolg. Auch wir hätten uns eine friedliche Lösung gewünscht", meinte Thomas Keller, Abteilungsleiter der für den Straßenbau zuständigen MA 28. Die Räumung sei nun "unausweichlich, da der Bau an behördliche Auflagen gebunden ist".

Umweltorganisationen kritisieren Wiener Verkehrspolitik

Umweltorganisationen übten postwendend harsche Kritik. So bezeichnete die Naturschutzorganisation WWF Österreich den Bau einer vierspurigen Straße als "fahrlässig und verantwortungslos". Anstatt auf ernsthaften Dialog zu setzen, lasse die Stadt Wien das Protestcamp räumen. Die Stadt Wien solle endliche ihre autozentrierte Verkehrspolitik beenden und gerade im urbanen Bereich sinnvolle, klimafreundliche Alternativen forcieren. Auch Lucia Steinwender von System Change not Climate Change verwies auf den Zusammenhang mit dem Lobautunnel, dessen Bau vom Bund kürzlich abgesagt worden war: "Es ist ein Skandal, dass Ludwig erst voller Stolz seinen sogenannten Klimafahrplan präsentiert und nur ein paar Tage später mit der Wirtschaftskammer beschließt, am Bau der Lobauautobahn festzuhalten! Solang die Stadtautobahn nicht abgesagt ist, bleibt die Lobau gefährdet“.

Die Räumung des Protestcamps löst nicht das Problem, dass die überdimensionierte Stadtstraße im "krassen Widerspruch" zu den Klimazielen und Mobilitätszielen der Stadt steht. Dieser Ansicht ist der Verkehrsclub Österreich. Nur Dialog führe zu konstruktiven und guten Lösungen, befand der VCÖ. Aus Verkehrssicht sei die überdimensionierte Stadtstraße nicht notwendig, weil es bessere Lösungen gebe, hieß es in einer Aussendung. Auch das Forum Wissenschaft & Umwelt kritisiert die geplante Stadtstraße. Stadtplanung müsse sich an Menschen und nicht an Autos orientieren, fordert Prof. Dr. Reinhold Christian, Präsident des Forums.

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) wolle die Stadtautobahn durchsetzen, um Fakten für den Bau der Lobauautobahn zu schaffen. Für die Anbindung der Stadtentwicklungsgebiete in der Donaustadt sei sie hingegen völlig überdimensioniert und ungeeignet, wurde beklagt. Weitere Proteste wurden angekündigt: Fridays For Future Wien rief für heute, 18.00 Uhr, zu einer Solidaritäts-Kundgebung vor der SPÖ-Zentrale auf.

Gemischte Reaktionen aus dem Wiener Stadtrat

Gemischt reagierte die Stadtpolitik. Erbost zeigten sich die Grünen - die bis zur Wahl 2020 das Verkehrsressort innehatten. Das, wogegen die Klimaschützerinnen und Klimaschützer vehement gekämpft hätten, sei nun doch eingetreten, beklagten sie in einer Aussendung. Kritik übten sie auch daran, dass für den Polizeieinsatz Öffis und Zufahrtsstraßen weiträumig gesperrt wurden. "Das ist ein trauriger Tag für den Klimaschutz, für die Zivilgesellschaft - und ganz besonders für SPÖ", konstatierte Landesparteivorsitzender Peter Kraus. "Erschreckend" sei auch, dass mit Polizeischutz Bäume gefällt werden sollten.

Die FPÖ wetterte wiederum gegen die Störung eines Interviews mit ihrem Verkehrssprecher Anton Mahdalik. Dieser sei vor laufender Kamera massiv agitiert worden. "Linke Chaoten" hätten die Arbeit eines Journalisten, der Mahdalik interviewen wollte, gestört. Mahdalik sei auch bedrängt worden. "Würde so etwas bei einer Corona-Demo passieren, wäre der Aufschrei laut und man würde sofort die Pressefreiheit in Frage stellen", vermutete der Wiener FPÖ-Landesparteisekretär Michael Stumpf: "Statt sich bekifft in einem Protestcamp zu vergnügen, sollten die jungen Leute in ein Erziehungscamp gesteckt werden, in dem man ihnen Manieren beibringt."

Freude äußerte die Wiener ÖVP "Der Rechtsstaat hat sich durchgesetzt. Die rechtswidrige Besetzung der Stadtstraßen-Baustelle wird mit der heutigen Räumung nun endlich zu einem Ende gebracht", befand der designierte Landesparteiobmann der Volkspartei Wien, Karl Mahrer, und Klubobmann Markus Wölbitsch - die der Polizei für das Vorgehen dankten.

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(twi, dran, APA)

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