Niki Lauda

Junger Herr aus gutem Haus

(c) Alois Rottensteiner
  • Drucken

Die erste Grand-Prix-Saison vor 50 Jahren. Niki Laudas Talent zu prägnanter Aussage war schon erkennbar. Das Auto war leider „ein totales Häusl“.

Gerüstet mit Steireranzug und Krawatte führte er ein Fräulein zum Jägerball.

1972: Lauda war 23, steckte noch ein bissl in seiner alten Welt. Der Name ! Die gute Erziehung, der selbstverständliche Umgang in der Jeunesse dorée. Andererseits hatte er erfolgreich ein Maturazeugnis gefälscht und über vier Jahre im Motorsport Ausdrücke gehört, die in Pötzleinsdorf noch keiner kannte.

Er würde in jenem Jahr, mit Steireranzug und Krawatte, ein Fräulein-von- zum Jägerball einladen und mit ihr bald in Salzburg eine kleine Wohnung nehmen, bekam an der anderen Ecke der Welt aber auch schon Burschen wie Fittipaldi und Jackie Stewart in Sichtweite.

Laudas Talent stand außer Frage, auch wenn die Fährtenleser der Nation in ihm noch keinen Jochen-Rindt-Nachfolger erkennen konnten, oder vielleicht doch? Oder Marko? Quester?

Die Formel 1 hatte bereits ihre Unschuld verloren, fünf oder sechs Jahre zuvor. Zum Beispiel: Jochen Rindt, trotz seines gellenden Genies, hatte ein Gutteil seiner Erbschaft investiert, um die Ochsentour des Sich-Hochdienens abzukürzen. Man kaufte sich ein besseres Auto oder lieferte sein Geld bei einem Team ab, das über das bessere Auto verfügte.

Das Prinzip funktioniert heute noch viel extremer. Ein Acht-, Neun-, höchstens Zehnjähriger zeigt sein Talent beim Kartfahren. Dann übernimmt die Familie oder, ja doch, ein Investor, den Schub fürs bessere Kart, das noch bessere Kart. Danach muss der Bursche in einer der Nachwuchs-Formeln beweisen, ob er wirklich was drauf hat, aber hier wird er noch mehr den Schub des Papas oder des Investors brauchen, um an das Spitzenmaterial der jeweiligen Klasse heranzukommen.

Vor fünfzig Jahren war es im Rennsport so, dass die Zwanzig­jährigen Kopf und Kragen (und auch des Nachbars Kragen) in der Formel 3 riskierten, um aufzusteigen, zu Formel 2 und 1.

Lauda hatte sein Schlüsselerlebnis 1970 gehabt, am Tag nach Jochen Rindts Tod, aber ganz wo anders. Formel 3, Belgien, ein Unfall, eine Stelle für Tempo 210, Ambulanzwagen mit Tempo 50, alle drängen sich vorbei, die Autos kreiseln, einer schießt den anderen ab, alles mitten auf der Fahrbahn.

Originalton Lauda: Die Meute blieb voll am Gas. Ich konnte nur noch abwarten, auf welcher Seite sie mich abschießen würden. Einer flog über meine Schnauze, dann sprang ich raus und rannte einfach weg.

(c) Copyright McKlein / Reinhard Klein / Colin McMaster 2019

Allmälich konnte man Sagen: Dem jungen Mann fehlt zwar nch einiges, aber er ist cool

Aufgeben, bürgerlicher Beruf kam aber auch nicht in Frage. Also musste Geld in den Shortcut zur Oberliga investiert werden, das war gleichbedeutend mit Schuldenmachen, denn mit Omas Sparbuch (das hatte einen Mini Cooper ergeben, allemal) war Schluss mit Zuschüssen aus der Familie.

Unter abenteuerlichen Klimmzügen stellte Lauda für 1972 einen Raiffeisen-Kredit von 2,5 Mio. Schilling auf, nach heutiger Kaufkraft-Umrechnung rund 600.000 Euro. Das einzige Team, das für dieses Geld eine betreute Formel-1-Saison anbieten konnte, war March.

1972 gab es in der Formel 1 vier gute Teams (Lotus, Tyrrell, McLaren, Ferrari) und fünf andere: Matra, Brabham, BRM, Surtees und eben March.
March war ein junges englisches Team mit der richtigen Perspektive für Technik und Business, bloß gab’s noch eine Lücke zwischen Investment und Ertrag. Insofern brauchte man das Geld vom Nummer-2-Fahrer (Lauda), um sich eine brillante Nummer eins leisten zu können, das war der Schwede Ronnie Peterson. Vom reinen In­stinkt fürs Fahren war er nach Jochen Rindt vielleicht der schnellste Mann im Sport, noch vor Stewart und Fittipaldi. Eine bessere Messlatte für den fünf Jahre jüngeren Lauda hätte es nicht geben können.

March kam in jenem Jahr mit einer „genialen Neukonstruktion“ heraus. Noch im Frühjahr ergab sich eine Schlüsselszene für die ganze Karriere des jungen Niki. Ronnie durfte testen, Niki nur zuschauen. Peterson war begeistert vom Auto.

Als Lauda zum ersten Mal ran durfte, war er entsetzt, benahm sich wie ein Fahrschüler, drehte sich, verbremste sich, verschaltete sich. Man tröstete ihn auf die Art, du wirst es schon lernen. Dann die ersten Rennen. Lauda war in Spanien gleich einmal Letzter im Qualifying, sechseinhalb Sekunden hinter der Pole Position, ein Witz. Peterson im Mittelfeld. Nächstes Rennen, Lauda: Platz 21. Er sagte, natürlich auf Englisch, das Auto is a Gurkn, aber Niki war nicht ernst zu nehmen. Es dauerte drei Rennen, bis alle, auch Peterson, draufkamen: Aus dem Auto wird nix. Lauda beendete die Saison mit null Punkten. Allerdings hatte man kapiert, dass Niki in seiner technischen Einschätzung schneller auf den Punkt kam als andere. March bestellte ihn zum Testfahrer. Das kam für die Saison 1972 zwar zu spät, bedeutete für Lauda aber eine hübsche Aufwertung, obendrauf zu seinen Erfolgen in den anderen Rennklassen.
Die Formel 2 war zwar nicht mehr ganz so hochkarätig wie noch vier Jahre zuvor mit Jochen Rindt, aber als Lauda zur Saisonmitte die EM anführte und sogar Ronnie Peterson geschlagen hatte, war sein Renommee sofort viel prächtiger. In Österreich (noch immer in hochgejazzter Jochen-Rindt-Nostalgie) sah man schon den kommenden Star, in Schlagdistanz zu Helmut Marko, der im Jahr zuvor mit einem außergewöhnlichen Le-Mans-Sieg brilliert hatte. 1972 schied Marko unvermittelt aus dem Wettbewerb, als beim französischen Grand Prix in Clermont-Ferrand ein vom Vordermann aufgewirbelter Stein das Visier durchschlug und das linke Auge verletzte.

In der Öffentlichkeit, außerhalb des Motorsports, spielte Lauda noch keine große Rolle. Er hatte keine flotten Sprüche parat, verbreitete höchstens Freundlichkeiten über seine Sponsoren, ohne jedermann die angespannte Situation auf die Nase zu picken. Spätestens jetzt, nach Dramen in der Schule, in der Mechanikerlehre, nach Crash im Wienerwald mit dem falschen Auto, nach Kampf mit der Familie und windigen Krediten, allmählich also konnte man sagen: Dem jungen Mann fehlt zwar noch einiges, aber er ist cool.

Lauda ging als bildungsferner Bohemien durch, konnte sich aber zur rechten Zeit zum Handkuss beugen, ohne zu schmatzen. Er war gewieft, smart und hatte einen vorerst schüchternen Schmäh. Noch brauchte niemand schlaue Statements zur Lage der Nation von ihm.

Mariella Reininghaus (der Name genügte in Österreich, um die höflichsten Schlüsse zu ziehen) blieb als Gefährtin leicht geheimnisvoll, bei Marathonrennen konnte sie stundenlang auf einem Reifenstapel sitzen, ohne einen Mucks zu machen. Sie war zwar durchaus freundlich zu unsereins, aber eindeutig nicht erpicht auf Plaudereien mit Journalisten. Wir sahen, dass sie schön und zartpflanzig war und wussten immerhin, dass sie Kunstgeschichte studierte. Man ahnte, dass Niki diese Neigung nicht ansatzweise teilte. Auch Niki selbst war sehr diskret. Als intimstes Detail habe ich in Erinnerung, dass sich wohl der Architekt des gemeinsamen Hauses auf hohem Niveau in Mariella verliebt hatte und die Weiterarbeit verweigerte, als Marlene auftauchte. Dieses Haus oberhalb von Hof bei Salzburg habe er nur für ein glückliches Zusammenleben von Niki und Mariella konzipiert, eine fremde Frau habe er sich da nie vorstellen können.

Boxenluder im Sinn des Boulevards gab es sowieso kaum in der Formel 1, bevor James Hunt kurzfristig für frisches Flair sorgte.

Die Branche hatte auch schon ein neues Feld entdeckt. Hinter dem biederen Begriff Tourenwagen baute sich im sehr großzügigen Sportgesetz die Attraktion auf, einen Ford Capri oder ein BMW-Coupé aufzumotzen bis zum Gehtnichtmehr. Man erinnert sich vielleicht an die Strategen der Feldzüge wie Mike Kranefuß (Ford) oder Jochen Neerpasch (BMW), sie hatten Budgets für die besten Piloten weltweit … allemal neben der Formel 1. Es gab ja nur zwölf GP-Weekends pro Jahr (für heuer geplant: 23 Rennen), da blieb noch Platz für die anderen Rennserien – Niki Lauda beispielsweise ging 1972 bei dreißig Rennen an den Start. Mit den entsprechenden Preisgeldern ließ sich ordentlich Geld verdienen. Das reichte allerdings gerade, um bei Raiffeisen ein Viertel seiner Schulden zurückzuzahlen.

So missglückt der F 1-March auch war, die Techniker des Teams waren okay, sie würden bald ein besseres Auto auf die Räder stellen. Lauda musste dran bleiben, sich durch tolle Leistungen für die Zukunft freikaufen. March würde ihm ein ordentliches Auto für 1973 geben, er würde (nicht sofort) seine Schulden bezahlen und die Welt niederreißen. So war der Plan.
Wir verschleppen die Zeit um 50 Jahre. Irgendwann taucht doch immer ein Ferrari da vorn im Leben auf.

Im Dezember sagten sie dann: March hat kein Geld, um dich in der Formel 1 fahren zu lassen, aber du kannst Formel 2 fahren und die Testarbeit in der F1 übernehmen.

Bevor jetzt salopp gesagt wird, dass Niki sich deswegen umbringen wollte, bleiben wir bei der Version, wie er sie für unser gemeinsames, längst vergriffenes Buch zugelassen hat, das war 1977. Ergänzend zu dieser Kurzfassung habe ich noch die Erinnerung, dass besagte Mauer nicht irgendeine Mauer war, sondern dass Niki die Stelle haargenau vor Augen hatte, ganz konkret im Scheinwerferlicht des Dezembernachmittags.

Aber jetzt Originalton Lauda:
Ich war niemals vorher und nie nachher in meinem Leben so verzweifelt wie damals, als ich von Bicester nach Hause (London, Anm.) fuhr. Sogar der Gedanke, mit dem Wagen in irgendeine Mauer zu fahren, war gar nicht so absurd. Ich war am Ende: Ich hatte zwei Millionen Schilling Schulden und kein Auto, keinen Vertrag für nächstes Jahr … ich rechnete mir aus, wie lang ich zurückzahlen würde, hätte ich irgendeinen Schreibtischjob … irgendwas zwischen vierzig und siebzig Jahren …

Stay tuned, wir verschleppen die Zeit um 50 Jahre, nächstes Jahr sollte es wohl bergauf gehen, im Formel-1-BRM und überhaupt. Irgendwann taucht doch immer ein Ferrari da vorn im Leben auf.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.