Junge Forschung

Reaktionen im Körperinneren

„Ziel der bioorthogonalen Chemie ist nichts Geringeres, als die molekulare Tumorbehandlung und -diagnostik zu revolutionieren“, sagt Martin Wilkovitsch.
„Ziel der bioorthogonalen Chemie ist nichts Geringeres, als die molekulare Tumorbehandlung und -diagnostik zu revolutionieren“, sagt Martin Wilkovitsch. Mirjam Reither
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Der Chemiker Martin Wilkovitsch arbeitet an Werkzeugen, die eine exakte Krebsdiagnose und anschließende Therapie ermöglichen, ohne gesundem Körpergewebe zu schaden.

Beim Stichwort Chemie stellen sich Laien oft Glaskolben mit allerlei Mixturen, übel riechende Dämpfe und explosive Experimente vor“, sagt Martin Wilkovitsch. „In meiner Arbeit geht es aber um chemische Reaktionen, die direkt im menschlichen Körper stattfinden sollen.“ Zum Beispiel im Kampf gegen Krebs. Bekanntlich greifen die Wirkstoffe, die in der klassischen Chemotherapie zum Einsatz kommen, nicht nur Tumorzellen, sondern auch gesunde Zellen an. Würden sie sich jedoch ausschließlich im kranken Gewebe entfalten, könnte man den Patienten die meist gravierenden Nebenwirkungen ersparen. Diesen Ansatz verfolgt die sogenannte bioorthogonale Chemie, Wilkovitschs Spezialgebiet. Es ist an der Schnittstelle von Chemie und Biologie angesiedelt.

Sicherheit als oberstes Gebot

Wilkovitsch ist Postdoc und Projektassistent am Institut für Angewandte Synthesechemie der Technischen Universität (TU) Wien, und zwar in der Forschungsgruppe von Hannes Mikula, dem er seine Faszination für das Thema verdankt. „Sein Enthusiasmus hat mich schon recht früh in meinem Studium der Technischen Chemie mitgerissen“, erweist der 29-Jährige seinem Mentor Reverenz. „Darum habe ich sowohl meine Bachelor- und Master- als auch meine Doktorarbeit unter seiner Betreuung verfasst.“ Letztere leistete einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung eines zielgerichtet im Körper einsetzbaren chemischen Werkzeugs für die Krebsdiagnose und -therapie. Das hat Wilkovitsch den Dr.-Ernst-Fehrer-Preis der TU Wien eingebracht.

Er arbeitet daran, zwei in einen Organismus eingebrachte molekulare Bausteine dazu zu bringen, an einem strikt definierten Ort – etwa einer Krebszelle – miteinander zu reagieren, ohne in körpereigene Prozesse einzugreifen oder sie in irgendeiner Weise zu stören. Schritt eins ist dabei ein Antikörper mit angekoppeltem Molekül, der selektiv an die Tumorzellen bindet. Danach verabreicht man den eigentlichen Wirkstoff zusammen mit einem zweiten Molekül, das dafür sorgt, dass diese in solchen Fällen meist toxische Substanz so lange inaktiv ist, bis es mit dem ersten Molekül zusammentrifft. Erst dann wird der Wirkstoff freigesetzt. „Also nur dort, wo der Antikörper gebunden ist. Er ist sozusagen der Ankerpunkt.“ Dass der Anker genau an der richtigen Stelle landet, sei für künftige Anwendungen essenziell.

„Normalerweise lenken wir den Ausgang einer Reaktion mittels kontrollierbarer Bedingungen“, veranschaulicht Wilkovitsch. „Etwa durch Temperatur- oder Druckveränderungen, Regulation des Sauerstoffgehalts oder Verwendung von Katalysatoren.“ Das gehe im lebenden Organismus natürlich nicht. „Gerade versuchen wir, die Moleküle mit einem neuen Konzept in die Krebszelle zu steuern, der chemischen Kaskade.“

Beim noch ungelösten Problem des Zeitfaktors hat die Arbeitsgruppe schon erste Erfolge verbucht: Damit sich die Wirkstoffkonzentrationen gering halten lassen, müssen die beiden Moleküle nämlich sehr schnell aufeinandertreffen, ohne an Stabilität zu verlieren. „Verglichen mit den Molekülen, die aktuell in einer klinischen Studie eingesetzt werden, verläuft die von uns entwickelte bioorthogonale Reaktion um Größenordnungen schneller.“ Wilkovitsch hat dafür eine Vielzahl chemischer Verbindungen hergestellt und charakterisiert, sogenannte Tetrazine und trans-Cyclooctene. „Darauf aufbauend konnten wir molekulare Architekturen mit hervorragenden Eigenschaften modellieren.“ Erstmals sei es auch gelungen, hochreaktive Tetrazine mit dem Radionuklid Fluor-18 zu markieren und so chemische Sonden für die Nuklearmedizin zu schaffen. „Das ermöglicht ganz neuartige medizinische Strategien.“ Zurzeit fassen die Forscher die Gründung eines Start-ups ins Auge.

Im Vorjahr konnte der Burgenländer sein biologisches Know-how in Boston, USA, am Center for Systems Biology des zur Harvard Medical School gehörenden Massachusetts General Medical Hospital vertiefen. Kraft für die Herausforderungen im Labor schöpft der ehemalige Basketball-Landesmeister beim Sport.

Zur Person

Martin Wilkovitsch (29) promovierte 2021 an der TU Wien in Technischer Chemie. Derzeit ist er Postdoc am Institut für Angewandte Synthesechemie der TU Wien. Prägend für seine Arbeit waren ein Studienaufenthalt an der University of North Carolina at Chapel Hill, USA, und im Vorjahr ein Postdoctoral Internship am Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School in Boston, USA.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2022)

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