Motor City

Bahnhof ohne Züge, aber mit Zukunft

Renaissance: Züge verkehren hier längst nicht mehr, aber bald sollen in und um „Michigan Central“ 5000 Menschen arbeiten.
Renaissance: Züge verkehren hier längst nicht mehr, aber bald sollen in und um „Michigan Central“ 5000 Menschen arbeiten.Werk
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Rund um den seit Jahrzehnten verfallenden Bahnhof von Detroit errichtet Ford einen Forschungscampus – es ist der bisher aufwendigste Versuch, die legendäre Motor City zu neuem Leben zu erwecken.

Die Geschichte von Ford und Detroit ist eng verknüpft: Als Henry Ford 1909 die Massenfertigung des Model T startete, begann der Aufstieg der an der Grenze zu Kanada gelegenen Stadt im US-Bundesstaat Michigan. Ein Jahr später wurde mit den Bauarbeiten an einem neuen Bahnhof begonnen, der Michigan Central Station. Da hatte Detroit eine knappe halbe Million Einwohner, eine Zahl, die sich binnen eines Jahrzehnts verdoppelte.

Die Gegend galt als heruntergekommen und eher übel beleumundet, die Infrastruktur selbst konnte sich aber sehen lassen: Eine Straßenbahn führte vom Bahnhofsvorplatz direkt ins Stadtzentrum, ein großzügiger Park schmückte das Areal, und über 200 Züge verließen den Bahnhof täglich. Der eher schmucklos angelegte 18-stöckige Bürobau über der Bahnhofshalle stellte das größte Bahnhofsgebäude der Welt dar.

Umstieg. Es war vor allem Henry Ford, der Grundstücke in der Nähe aufkaufte und seine Automobilproduktion Zug um Zug erweiterte. Die Große Depression Ende der 1920er bremste den Ausbau, aber da hatte die Michigan Central Station ihre großen Tage schon hinter sich: Der Umstieg aufs Auto ließ die Passagierzahlen des Zugverkehrs kontinuierlich zurückgehen. Detroit freilich stand vor dem Zweiten Weltkrieg noch vor seiner großen Blüte: 1950 sollte die Einwohnerzahl der Stadt auf über 1,8 Millionen steigen.

Mit General Motors hatte sich ein zweiter Industrieriese angesiedelt, als Motown, wie die „Motor City“ genannt wurde, etablierte sich ein weltweit erfolgreiches Plattenlabel. Dann ereilte die einstige Boom Town ein jahrzehntelanger steiler Niedergang, der ihr Zentrum zu einer regelrechten Geisterstadt machte – für Besucher ein faszinierend-makabres Erlebnis, für die verbliebenen Einwohner mehr eine Art Notstandsgebiet. 2013 ging die Kommune in Konkurs. Der Fotoband „The Ruins of Detroit“ lässt den einstigen Prunk der verfallenen neoklassizistischen Architektur-Denkmäler erahnen.

Viele Versuche zu Detroits Renaissance wurden im Lauf der Jahre unternommen. Den wohl ehrgeizigsten hat Ford gestartet. Um 90 Millionen Dollar erwarb der Konzern das leer stehende Bahnhofsgebäude, nach umfangreicher Sanierung soll es samt des umliegenden Areals bis Ende des Jahres in neuem Glanz erstrahlen – und als Campus für Forschung und Entwicklung einer neuen, elektrischen und autonomen Fahrzeuggeneration dienen. Dabei hat Ford den IT-Konzern Google als „Gründungspartner“ an Bord geholt, 5000 Arbeitsplätze sollen rund um „Michigan Central“ entstehen.

Die gleichlautende Unternehmung ist aus dem Ford-Konzern ausgelagert und verzichtet auf den Firmennamen, um den Zuzug unabhängiger Start-ups und anderer Autohersteller zu erleichtern. Als „Plattform, um die Probleme der Mobilität zu lösen“, gilt Michigan Central als Herzensprojekt von Bill Ford Jr., Henry Fords Urenkel: „Allein kriegen wir das nicht hin.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2022)

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