Testessen in der Palette

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Einmal die ganze Palette bei Gerd Sievers: Wo reifer Fisch aus Tüchern kommt und der Schneebesen auf Kalbshirn trifft.

Er selbst arbeitet gerade an Buch Nummer 39 („offiziell“, sagt er), über ihn indes könnte man mindestens ein Buch schreiben: Gerd Sievers ist ein Wahnsinniger im besten Sinne. Die Zutat, die er nicht kennt (und für die er nicht die ideale Bezugsquelle parat hat), muss erst er­­funden werden.

Sein Lokal Die Palette am Vorgartenmarkt im Wiener Stuwerviertel hat nach marktinternen Umzügen, Umbau und Take-away-Betrieb im Lockdown endgültig seine Reisegeschwindigkeit erreicht. Mit achtzig Prozent Stammgästen, die mitunter eine lange Anfahrt in Kauf nehmen. Wer Sievers’ Küche kostet, versteht sie.

Club-Prinzip

Gegenüber dem Palette Bis­trot mit einer Handvoll Tischchen finden sich Küche und Chef’s Table. Dieser funktioniere nach Club-Prinzip, man könne auf persönliche Empfehlung kommen oder ab einer Reservierung für vier Personen. „Demokratisch müssen wir hier ja nicht sein“, sagt Sievers und gießt einem Stammgast zur im Ganzen frittierten ­Languste auf kreolische Art gegen dessen Willen ein Bier ein. Der Gast – „ich komme jede Woche, jedes Mal gibt es Dinge, die ich nicht kenne“ – fügt sich.

Man kann à la carte bestellen, tut aber auch gut daran, sich einfach in die Hände des Chefs zu begeben. Vorausgesetzt, man isst tierisches Protein. Die schriftliche und die via „Carta bianca“-Menü (regulär 95 bzw. 145  Euro, nach Absprache auch mehr) ausgespielte Karte listet Kutteln, Salzwiesenlamm, Schnecken, Austern . . . Dank seiner Verbindungen bezieht Sievers Fisch direkt aus Italien und Frankreich, im Keller lagern vor allem Burgunder und Champagner, von Letzterem allein hundert Positionen, Tauben kommen ausschließlich von Jean Claude Miéral.

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So puristisch Sievers’ Küche auftritt, so ausufernd ist sie in der Vorbereitung. Fisch lässt er, zwecks Feuchtigkeitsausgleich in Tüchern, wochenlang dry-agen, was unvergleichlichen Schmelz zur Folge hat, die XO-Sauce zur Jakobsmuschel macht er selbst, das Lammtatar wird mit über 70 Zutaten gewürzt. Ein Faible: Fermentiertes, sei es die Sardellensauce, die über Sashimi vom Wolfsbarsch, eine Kreuzung der Konsistenzen Wachs und Seide, mit mallorquinischem Olivenöl, Flugfischeiern und Schnittlauch geträufelt wird, sei es in Sake gereifter Ingwer, der völlig unbekannte Töne spuckt, ledrig-dunkle.

Noch ein Highlight: roher Thunfisch mit Kalbsfond, Kapern, Amalfizitrone und „Mayonnaise“ aus Thunfischmilchner. Hirn mit Ei heißt – der Schneebesen läuft heiß – „Schaumspeise vom Kalbshirn“, man sieht es nicht vor Trüffel aus Norcia. Wem das alles zu banal klingt: Ab März gibt es wieder Frösche, „angelgefangen“, aus Albanien.

Die Palette

Vorgartenmarkt Stand 22+23 und 40+41, 1020 Wien. Tel.: +43/(0)664 200 00 54, Restaurant: Mi: 15–21, Do: 15–22, Fr: 12–22, Sa: 10–22 Uhr.

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