Kulturgeschichte

Wie Faultiere von Teufeln zu Helden mutierten

Keine Spezies haben Europas Eliten tiefer verachtet als die Faultiere. Heute sind sie die Lieblinge aller. Ist ihnen die Musik zu verdanken? Warum sind sie für Indigene Urbilder der Kultur? Ein neues Buch klärt uns auf.

Das Urteil von Europas Geistesgrößen fiel vernichtend aus. Für Goethe war das Faultier ein Irrtum der Natur: „Wenn je ein geistloses schwaches Leben sich manifestiert hat, so geschah es hier.“ Die weltliterarisch geschundene Kreatur wurde sodann von Hegel in seiner „Ästhetik“ philosophisch denunziert, als Sinnbild des Hässlichen – weil der Habitus dieses Tieres der „Vorstellung von Lebendigkeit“ spotte und es „durch seine schläfrige Trägheit missfällt“. Der Schweizer Physiognomiker Lavater nannte es das „elendste“ aller Geschöpfe: „Seine Dummheit und Achtlosigkeit für sich selbst sind unbeschreiblich.“ Und der französische Naturforscher Buffon sah in ihm ein „Gestalt gewordenes Laster“. Die Rufe dieses „Monsters aus Unvollkommenheit“ deutete er als Klagelaute, weil „seine bizarre und verwahrloste Gestalt“ ihm „unablässigen Schmerz bereitet“.

Ja, richtig gelesen, es geht um Faultiere. Um jene Wappentiere unserer Zeit, bei deren Anblick wir Ausgeburten der Spätmoderne je nach Gemüt in Seufzer der Sehnsucht oder Schreie des Entzückens ausbrechen – weil sie uns als Symbol eines erträumten anderen, entschleunigten und bewussteren Lebens gelten. Wie dieser wundersame Wandel vonstattenging, was man sonst noch auf diese Nebengelenktiere projizierte und warum all das mehr über Homo sapiens erklärt als über die Spezies Folivora, lässt sich nun in einem hübsch gestalteten Büchlein nachlesen: „Faultiere. Ein Portrait“ von Tobias Keiling und Heidi Liedke.

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