Der ökonomische Blick

Lieferkettengesetze: Negativliste statt unternehmerische Sorgfaltspflichten

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Ist es wirklich zielführend, Unternehmen zu verpflichten, ihre ausländischen Zulieferer zu überwachen? Eine zentrale EU-Agentur, die "schlechte" Lieferanten auf eine schwarze Liste setzt, wäre die bessere Alternative.

In zu vielen Ländern geben die Menschenrechtssituation und der Umgang mit der Umwelt Anlass zur Sorge. Zu viele Regierungen wenden ihre internationalen Verpflichtungen - von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bis zu den Kernstandards der Internationalen Arbeitsorganisation - nicht an oder setzen sie nicht durch. Deutschland hat ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKG) eingeführt, das Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung dazu verpflichtet, zu überwachen, ob ihre ausländischen Zulieferer eine Liste von Normen einhalten, und bei Bedarf Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Unternehmen, die keine ausreichende Überwachung durchführen, müssen mit Geldstrafen rechnen. Das Gesetz konzentriert sich hauptsächlich auf Menschenrechtsverletzungen bei direkten Zulieferern und schließt Haftungsansprüche aus. Die geplante EU-Gesetzgebung wäre strukturell ähnlich, könnte aber weitreichender sein.

Wenn die Verordnung funktioniert, würden missbräuchliche Lieferanten aus den EU-Lieferketten verschwinden. Allerdings lässt die Gesetzgebung wirtschaftliche Kosten außer Acht, die weit über den bloßen Überwachungsaufwand der EU-Einkäufer hinausgehen. Ein alternativer Ansatz, der darin besteht, "schlechte" Lieferanten durch eine zentrale EU-Agentur auf eine schwarze Liste zu setzen, wäre bei der Ausmerzung rechtswidriger Lieferanten mindestens ebenso wirksam, hätte aber geringere negative Auswirkungen auf den Entwicklungsprozess.

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Das wirtschaftliche Problem stellt sich wie folgt dar: EU-Einkäufer können das Verhalten von Lieferanten in weit entfernten Ländern nicht perfekt beobachten. Durch Investitionen in Überwachungsmaßnahmen können sie diese Unsicherheit zwar verringern, aber nicht beseitigen. Daher ist es möglich, dass einer ihrer Lieferanten aus einem Entwicklungsland trotz ihrer Bemühungen gegen ein Menschenrecht oder einen Umweltstandard verstößt. Das deutsche LKG sieht erhebliche Geldbußen vor, die bis zu 2 % des Umsatzes betragen können, wenn die Aufsichtsbehörde feststellt, dass der Importeur sich nicht „nach bestem Wissen und Gewissen“ bemüht hat. Mit der Bemühenspflicht taucht hier ein sehr unscharfer Rechtsbegriff auf. Mit dem LKG setzt der Einkauf bei ausländischen Lieferanten die Käufer also neuen Risiken aus, die sie nicht vollständig ausschließen können. Rationale Unternehmen werden dieses Risiko minimieren wollen, indem sie ihre Überwachungsaktivitäten auf weniger, aber größere Lieferanten konzentrieren und sich aus Ländern zurückziehen, in denen die Überwachung besonders schwierig ist oder in denen die Ausgangswahrscheinlichkeit für schlechtes Verhalten (z. B. aufgrund schwacher lokaler Institutionen) groß ist. Entscheidend für das Verhalten der Unternehmen ist nicht so sehr die Höhe der Überwachungskosten, sondern die Kosten, die entstehen, wenn ihnen zu Recht oder zu Unrecht abgesprochen wird, sich hinreichend bemüht zu haben. Folglich können Lieferanten, die überhaupt keine Rechte verletzen, aus den EU-Lieferketten herausfallen werden. Damit birgt das LKG die Gefahr, dass auch gesetzestreue Lieferanten geschädigt werden, da sie nicht ohne Kosten nachweisen können, dass sie sich an die Gesetze halten.

Befreiung aus bitterster Armut

Dies ist bedauerlich. Zahlreiche empirische Studien zeigen, dass die Teilnahme an globalen Lieferketten (GVCs) lokale Gemeinschaften in Entwicklungsländern aus bitterer Armut befreit. Eine geringere Armut wiederum führt zu Verbesserungen der sozialen, ökologischen und politischen Bedingungen. Natürlich ist Korrelation nicht gleichbedeutend mit Kausalität, so dass harte empirische Beweise nur schwer zu erhalten sind. Außerdem gibt es bei statistischen Zusammenhängen immer Ausnahmen. Aber die Evidenz deutet ganz klar auf einen großen gesellschaftlichen Nutzen der Teilnahme an GVCs hin, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe.

Zwei empirische Fakten sind sehr gut belegt. Erstens gehören Unternehmen, die legal an GVCs teilnehmen, fast immer dem formellen Sektor an, wo die Rechtsdurchsetzung am stärksten ist, Steuern erhoben werden und Normen am ehesten eingehalten werden. Wären sie informelle Unternehmen, könnten sie sich nicht am internationalen Handel beteiligen, zumindest nicht direkt – doch auf diese direkten Lieferbeziehungen konzentriert sich das deutsche LKG hauptsächlich. Studien zeigen, dass die häufigsten und gravierendsten Menschenrechtsverletzungen im informellen Sektor, in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und in Familienhaushalten vorkommen, wo staatliche Vorschriften, so unvollkommen sie auch sein mögen, oft nicht angewandt werden. Zweitens ist nur ein Teil der formellen Unternehmen an den globalen Wertschöpfungsketten beteiligt. Diejenigen, die dies tun, sind jedoch positiv selektiert. Sie sind größer und produktiver, zahlen höhere Löhne, bieten bessere Arbeitsbedingungen und achten mehr auf die Umwelt. Wenn also die Beteiligung von Unternehmen an globalen Wertschöpfungsketten zurückgeht, kommen weniger Arbeitnehmer in den Genuss der in der Literatur als Exporter-Premia bezeichneten Vorteile, und mehr von ihnen werden in die Informalität gedrängt. Wenn EU-Firmen abwandern, können Käufer aus anderen Regionen, z. B. aus China, hinzukommen, wodurch der Druck auf die Lieferanten abnimmt und die geostrategische Position der EU geschwächt wird.

Dass die Käufer mit einer Anpassung ihrer Lieferketten reagieren, ist nicht nur eine theoretische Möglichkeit. Kolev und Neligan vom IW Köln liefern eine empirische Auswertung des französischen LKG, das seit 2017 in Kraft ist. Sie stellen fest, dass die französischen Importe aus "risikoreichen" Ländern tatsächlich zurückgegangen sind und dass die neue Gesetzgebung wie ein nicht-tarifäres Handelshemmnis wirkt. In der dem deutschen Gesetz beigefügten Kostenbewertung wird keine Analyse der Auswirkungen auf die Teilnahme armer Länder an GVCs durchgeführt.

Zentralisierter Ansatz

Um eine solche unerwünschte Umstrukturierung der GVCs zu vermeiden, wäre ein stärker zentralisierter Ansatz, der den EU-Unternehmen keine Kosten und Risiken aufbürdet, die bessere Alternative. Anstatt von jedem EU-Käufer zu verlangen, jeden einzelnen Lieferanten zu überprüfen, sollte eine zentrale EU-Agentur die Überwachungsaufgabe übernehmen und eine Negativliste von Firmen führen, die von den EU-Lieferketten ausgeschlossen sind. Kostspielige Doppelkontrollen würden so vermieden. Die Rechtsunsicherheit würde minimiert, und Importeure, die sich an die Liste halten, hätten die Gewissheit, dass sie nicht bestraft werden. Sie hätten keine Anreize, ihre Lieferketten anzupassen - außer natürlich, indem sie gelistete Firmen rauswerfen. Nur Unternehmen, die sich schlecht verhalten, würden aus den EU-Wertschöpfungsketten ausgeschlossen.

Es gibt verschiedene Beispiele für Negativlisten, das bekannteste ist die "Entity List" der USA. Gegenwärtig sind dort auf etwa 500 Seiten Tausende von Unternehmen auf einer schwarzen Liste aufgeführt. Damit eine Schwarze Liste für die Lieferkette wirksam ist, bedarf es eines transparenten Mechanismus, der zur Aufnahme eines Unternehmens in die Liste und zu einer möglichen Streichung aus der Liste führt. Im Prinzip könnten dieselben Interessengruppen, die im deutschen LKG zu Wort kommen, einer EU-Entscheidungsinstanz Fälle vorlegen.

Politische Entscheidungsträger könnten ein LKG einer Negativliste vorziehen, da bei ersterer die Entscheidung über die Beendigung der Beziehung zu ausländischen Lieferanten an private Unternehmen ausgelagert wird. Diese Entscheidung wäre eine rein private Entscheidung. Trifft stattdessen eine staatliche Stelle eine solche Entscheidung, könnten ausländische Regierungen Sanktionen gegen EU-Firmen verhängen, um Vergeltung für eine als ungerechtfertigt empfundene protektionistische Maßnahme zu üben. Diese Sorge ist berechtigt. Allerdings können Verfahren im Rahmen eines LKG auch politische Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn systemrelevante oder in öffentlichem Besitz befindliche Lieferanten betroffen sind. Darüber hinaus kann eine gewisse Politisierung sogar nützlich sein: Im Gegensatz zu einzelnen Unternehmen kann eine zentrale EU-Agentur die weiterreichenden Auswirkungen ihrer Entscheidungen, etwa auf die geostrategische Position der EU, berücksichtigen. Und die Drohung, auf eine Negativliste gesetzt zu werden, die Exporte in die gesamte EU verbietet, mit starker Signalwirkung über Europa hinaus, kann ein sehr starker Anreiz für Lieferanten in Entwicklungsländern sein, sich an die Regeln zu halten. Kurzum, es gibt gute Gründe für die Annahme, dass ein Negativlistenkonzept wirksamer und gleichzeitig weniger entwicklungsfeindlich wäre als die derzeit in den Parlamenten so beliebten Lieferkettengesetze.

Zum Autor

Gabriel Felbermayr ist Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) und Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU).

Gabriel Felbermay
Gabriel Felbermay(c) Foto: Alexander Müller - Fotokurse, Fotografie, Fotoreisen | www.alexandermüller.at

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