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Pandemie und Psyche: „Es brennt an allen Ecken und Enden“

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Eine neue Anlaufstelle soll den Jugendlichen den Zugang zu psychosozialen Hilfsangeboten erleichtern. 7500 zusätzliche Therapieplätze sind geplant. Vielen greift das Projekt zu kurz.

Wien. Sie sind depressiv, schlafen schlecht, haben Essstörungen und wollen nicht mehr weiterleben: Die Pandemie hat gravierende Spuren bei vielen österreichischen Jugendlichen hinterlassen. Mehr als die Hälfte kämpft mittlerweile mit depressiven Symptomen, ein Fünftel der Mädchen und 14 Prozent der Burschen haben wiederkehrende suizidale Gedanken. Auch ein Ende der Pandemie wird diese psychischen Probleme nicht so schnell verschwinden lassen, sind sich Experten einig.

Schon im Juli hatte die Regierung deswegen 13 Millionen Euro für die therapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen versprochen. Nun ist klar, wofür das Geld genau verwendet wird: Ab Ende März wird mit 12,2 Millionen Euro eine neue Clearingstelle namens „Gesund aus der Krise“ eingerichtet, die zur zentralen Anlaufstelle für junge Menschen mit psychischen Problemen werden soll. Verankert wird diese im Berufsverband der Österreichischen Psychologinnen und Psychologen (BÖP) in Kooperation mit dem Berufsverband der Psychotherapeuten und -therapeutinnen (ÖBVP).

7500 Therapieplätze

Konkret bedeutet das Paket ein Angebot von 7500 Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche bis 22 Jahre. 6000 Plätze sind für je 15 Stunden Einzeltherapie reserviert, 1600 Stunden für Gruppensitzungen und 2400 Stunden für Workshops, die in Jugendorganisationen, Vereinen und Schulen sensibilisieren sollen. Zentraler Anknüpfungspunkt sollen auch die rund 220 Schulpsychologen sein.

Die restlichen 800.000 Euro fließen in die psychosoziale Betreuung von Frauen und Mädchen bei der Arbeitsgemeinschaft Frauengesundheit.
Das Projekt „Gesund aus der Krise“ soll konkret den Zugang zur Psychotherapie erleichtern. Junge Menschen müssten sich weder selbst um einen Therapieplatz umschauen, noch um Kostenerstattung kümmern, Hilfe soll schnell und unkompliziert erfolgen, so Plakolm. „Es wird eine einzige Hotline geben, von der man an die Beratungs- und Behandlungsstellen weiter verwiesen wird“, ergänzte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne).

Nach Einschätzung einiger Experten und den Neos fehlt es dem Paket jedoch an vielen Dingen, die sich Experten gewünscht haben und die Plakolm auch versprochen hatte. Gerade die viel zitierten niederschwelligeren Angebote, etwa Helplines wie „Rat auf Draht“, gehen leer aus.

Das Projekt decke lediglich zehn Prozent des Bedarfs ab, reagierte auch die Bundesjugendvertretung. SOS-Kinderdorf forderte, die „seit Jahren bestehende massive Unterversorgung“ mit entsprechendem Budget auszubauen.

„Es brennt an allen Ecken und Enden“, gestand Jugendstaatsekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) am Freitag ein. „Mit dem Paket beginnen wir an einem Ende zu löschen.“

Teurer und falscher Ansatz?

Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Pakets äußerte auch Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, gegenüber der „Presse“. Er hätte das Geld stattdessen in den Ausbau der bestehenden Jugendpsychiatrie-Ambulanzen gesteckt. Dort gebe es eine multiprofessionelle Versorgung, neben Psychiatern, Psychotherapeuten und Psychologen würden auch Sozialarbeiter und Ergotherapeuten mit den Jugendlichen arbeiten. Noch dazu um einiges günstiger: Ein Ambulanz-Patient könne für 3400 Euro im Jahr mehrere Stunden pro Woche betreut werden. Rechnet man die 13 Millionen auf 7500 Patienten um, ergibt das rund 17.000 Euro pro Jugendlichen.

Zudem müsse am Anfang einer Therapie oder eines anderen Hilfsangebots stets eine Diagnose eines Arztes stehen. In dem Konzept des Bundes sei das derzeit nicht vorgesehen. „Ich betrachte das als Stigmatisierung“, sagt Lochner. „Bei einer physischen Erkrankung würde man auch nie auf die Idee kommen, nicht zuerst zu einem Arzt zu gehen.“

(twi/juwe)

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