Wenn Bremsen Fortschritt bringt

Der Maschinenbauer Martin Leitner, hier in einer der Prüfhallen an seinem Institut, sagt: „Wenn es knifflig wird, dann kommen wir.“
Der Maschinenbauer Martin Leitner, hier in einer der Prüfhallen an seinem Institut, sagt: „Wenn es knifflig wird, dann kommen wir.“ (c) TU Graz/Robert Frankl
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Züge können nicht ausweichen, daher sind die Bremsen besonders wichtig. Am Institut von Martin Leitner an der TU Graz entsteht gerade ein neuer Prüfstand für Schienenfahrzeuge.

Es ist imposant und schön. Und noch schöner wird's im Sommer, wenn die ersten Teile kommen.“ Martin Leitner steht stolz vor einem Baustellenzaun aus Holz und blickt hinunter auf das rechteckige Loch, in dem – Betonschicht für Betonschicht – ein auf Luftfedern gelagertes Fundament entsteht. „Im Mai oder Juni sollen die ersten Komponenten geliefert werden“, erzählt er. 2023 geht der Bremsenprüfstand in der neuen Halle am Campus Inffeld der TU Graz in Betrieb. „So wie er dann dasteht, gibt es ihn sonst nirgendwo“, erklärt Leitner.

Statt mit mehreren Tonnen schweren Stahlscheiben – wie die wenigen unabhängigen Prüfstände weltweit – funktioniert er mit einem rund 2000 PS starken Elektromotor. Das macht flexibel, und damit sollen sich auch Bremssysteme von Hochgeschwindigkeitszügen, die mit bis zu 500 km/h unterwegs sind, untersuchen lassen. In einer kleinen und einer großen Prüfkammer wird das Team um Leitner in enger Kooperation mit Unternehmen Scheiben-, Radscheiben- und Klotzbremsen in die Mangel nehmen. Nicht nur von Schienenfahrzeugen, auch Lkw-Bauteile könnten hier beispielsweise geprüft werden, so Leitner. Der 36-Jährige leitet seit rund einem Jahr das TU-Institut für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik, seit Jahresbeginn ist er außerdem Geschäftsführer des gleichnamigen Prüfinstituts.

Tetris für Maschinenbauer

Zum Institut zählen auch eine Prüfhalle für Radsatzwellen (sie verbinden die Räder miteinander) und eine für Schwingprüfungen: Ähnlich wie beim Bremsen lassen die mit Schwingungen einhergehenden Belastungen im Echtbetrieb das Material ermüden. In den Prüfeinrichtungen legt man es gezielt darauf an, beobachtet, wann ein Bauteil Risse zeigt oder bricht. Derzeit ist es ruhig, aber wenn zugleich sehr viele Versuche stattfinden, sei es „manchmal wie Tetris hier“, schildert Leitner. Man müsse gut planen, um alles unterzubringen. Manche Teile werden mehrere Millionen Mal belastet, bis sie ermüden. Schließlich sei kein Material perfekt, sagt Leitner, der in seinem Büro eine Vielzahl teilweise geborstener stählerner Anschauungsstücke gesammelt hat. Vor allem Schweißnähte, Bohrungen oder Kerben seien bei wiederholter Beanspruchung anfällig für Risse. Die Forschung des Maschinenbauers trägt dazu bei, sie zu finden und zu vermeiden. „Wir wollen die Ausfallswahrscheinlichkeit minimieren“, sagt er.

Die Nähe zur Praxis hat für ihn hohen Wert: „Mich fasziniert, dass das, was wir machen, Anwendung findet.“ Es gelte stets, den Nutzen nicht aus den Augen zu verlieren. Auch in der Grundlagenforschung agiert man daher meist mit einem Industriepartner. Aktuelle technische Herausforderungen würden die eigene Arbeit vorantreiben, sagt Leitner: „So komplizierte Aufgaben können wir uns gar nicht ausdenken, wie sie in der Realität auftreten.“ Und: „Wenn es knifflig wird, dann kommen wir.“ Ein besonderer Erfolg gelang etwa bei der Optimierung eines Drehgestells, dem Laufwerk eines Schienenfahrzeugs: Die Forscher trugen dazu bei, dass dessen Gewicht durch den Einsatz von festerem Stahl um 40 Prozent reduziert werden konnte. Das kommt auch der Umwelt zugute, denn so lässt sich Energie sparen. Seine Arbeit sei eine ständige Gratwanderung zwischen ökonomischen und ökologischen Anforderungen und Sicherheitsfragen, fasst der mit Dezember 2020 berufene Universitätsprofessor zusammen.

Damals war er gerade einmal 35 Jahre alt, eine wissenschaftliche Karriere hatte er ursprünglich gar nicht auf dem Radar gehabt. Es gebe sehr viele, die das wollen, aber nur die wenigsten würden auch die Möglichkeit bekommen, sagt er. Dafür hat der gebürtige Zeltweger auch hart gearbeitet. Nach der HTL studierte er Montanmaschinenwesen in Leoben, 2013 schloss er das Doktorat ab, 2019 habilitierte er sich. Dazwischen absolvierte er einen MBA an der Donau-Uni Krems. Viel Zeit für Hobbys lasse ihm seine Arbeit nicht, sagt er. Eigentlich laufe er gern, komme aber viel zu selten dazu. Und da passt es gut, wenn er Beruf und Freizeit ein Stück weit verbinden kann: „Ich reise sehr gern. Daher macht es mir Spaß, für Konferenzen in der ganzen Welt unterwegs zu sein.“

ZUR PERSON

Martin Leitner (36) wurde im steirischen Zeltweg geboren. Er studierte Montanmaschinenwesen an der Montanuni Leoben, wo er auch promovierte und sich habilitierte. Mit Dezember 2020 folgte er dem Ruf an die TU Graz, dort steht er seither an der Spitze des Instituts für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik und ist seit Jahresbeginn Geschäftsführer des gleichnamigen Prüfinstituts.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2022)

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