Glaubensfrage

Ukraine-Krise

Säbelrasseln, Muskelspiele, aus der Zeit gefallen geglaubte Ausdrücke prägen die Ukraine-Krise. Was sie ausdrücken: Aus der Zeit gefallen geglaubtes Agieren an Europas Saum.

Was will Wladimir Putin? Diese Frage stellen sich politisch Interessierte mit täglich wachsender Bedrängnis. Die Ukraine kassieren, den jungen Staat gegen das Völkerrecht und den Willen der Mehrheit der Bevölkerung Russland (wieder) einverleiben?

Immerhin hat der Kreml-Hausherr vor knapp mehr als einem halben Jahr in einem aufsehenerregenden Aufsatz Russen und Ukrainer als „ein Volk“ bezeichnet. Will er die Schwäche des Westens – Stichworte miese US-Zustimmungswerte für Joe Biden und unerfahrener deutscher Kanzler Olaf Scholz – nützen? Grenzen aufzeigen, neue ziehen? Handelt er tatsächlich aus Furcht davor, weitere Truppen und Raketen der Nato quasi vor der Haustür stehen zu haben? Hat er im Sinn, das eigene Land von der Lage im eigenen Land abzulenken, von wirtschaftlichen, sozialen und coronabedingten Schwächen, um seine Macht zu zementieren?

Macht zementieren – das könnte auch auf den Moskauer Patriarchen Kyrill I. zutreffen. Der habe sich während der Auseinandersetzungen bisher durch „dröhnendes Schweigen“ ausgezeichnet, wie Olena Noha von der Caritas in Kiew kritisch anmerkt. In der katholischen Kirche fehlt es demgegenüber von Papst Franziskus abwärts nicht an flehentlichen Friedensappellen. In Wien, 1300 Kilometer von Kiew entfernt, was ziemlich genau der Nähe zu Paris entspricht, hat erst am Samstag Nachmittag Kardinal Christoph Schönborn zu einem Friedensgebet im Stephansdom eingeladen.

Von der Weltöffentlichkeit kaum bemerkt, hat sich in den vergangenen Jahren parallel zu den politischen Auseinandersetzungen – oder anders gesagt, zu den russischen Hegemoniebestrebungen – ein tiefer Spalt in den orthodoxen Kirchen aufgetan. Das Moskauer Patriarchat will nicht akzeptieren, dass sich Ende 2018 bei einem Konzil die ukrainisch-orthodoxe Kirche als von Moskau unabhängig und selbstständig (autokephal nennt das die Theologensprache) erklärt hat. Und dass Bartholomaios I., als Patriarch von Konstantinopel Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, dann im Jänner 2019 den Akt der Lösung von Moskau anerkannt hat. Seither herrscht Eiszeit zwischen Konstantinopel und dem mächtigen Moskau, die gesamte Weltorthodoxie und der Dialog mit der katholischen Kirche ist durch den Konflikt weitgehend gelähmt. Nicht nur, dass der Beitrag der orthodoxen Christen der Ukraine zu einem Leben in Frieden fehlt, werden Differenzen verstärkt und Ressentiments geschürt.

Die extreme Verbindung der orthodoxen Kirchen mit dem jeweiligen Staat bedingt eine ebensolch enges Verhältnis zu den politischen Repräsentanten – eine unheilvolle Allianz. Auf diesem speziellen Themenfeld hat sich die katholische Kirche als lernfähig erwiesen. Immerhin.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2022)

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