Was Impfpflicht und Levelling up vereint? In der ÖVP wird wieder gestritten – und alte Bruchlinien werden sichtbar.
Das, woran die meisten seiner Vorgänger gescheitert sind, wusste Sebastian Kurz zu perfektionieren: Gestritten wurde unter seiner Obmannschaft, wenn überhaupt, nur intern. Die viel kritisierte Message Control hatte indirekt den Zweck, unliebsame Berichterstattung zu verhindern. Vorrangig sollte sie aber parteiinternen Konflikten entgegenwirken. Mit Nachfolger Karl Nehammer scheint sich die türkise Einstimmigkeit langsam aber sicher aufzulösen. Worauf die Debatte um die Impfpflicht einen Vorgeschmack gab, zeigt sich in der Auseinandersetzung um die Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes (Levelling up) nun noch deutlicher: Die ÖVP streitet wieder öffentlich.
Jung gegen Alt. Vor Diskriminierung geschützt sind in Österreich Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit, nicht aber sexuelle Orientierung und Religion. SPÖ, Grüne und Neos fordern, den Schutz auch auf diese beiden Bereiche auszudehnen. Am konservativen Flügel der ÖVP argumentiert man unterdessen mit der Privatautonomie. Als Eigentümer einer Wohnung beispielsweise solle man selbst entscheiden können, an wen man vermietet.
Diese Linie ändern will Nico Marchetti. Angestachelt von einem niederösterreichischen Hotelier, dessen „Anti-Homo-Haus“ es in der Vorwoche bis in internationale Medien geschafft hat, wagt der ÖVP-Gleichbehandlungssprecher und einzige offen schwule ÖVP-Politiker, die Flucht nach vorn: „Es ist Zeit, dass wir uns weiterentwickeln“, richtete er seiner Partei am Montag in der „ZiB Nacht“ aus. In der ÖVP würden „Mehrheiten schlummern, die ich aufwecken kann“. Der Parlamentarier bricht damit einen ideologischen Grabenkampf vom Zaun, den die ÖVP seit Jahrzehnten führt. Unter Kurz war er vorerst beendet worden: Mit ihm gebe es kein Levelling up, hieß es. Nun ist Kurz weg – und die alten Bruchlinien zwischen konservativem Kern und liberalen Flügeln wieder da.