Justiz

OLG-Chef Schröder fordert Untersuchung von "System Pilnacek"

Die Presse/Clemens Fabry
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Man müsse "Schwachstellen in unserem eigenen Bereich, wo wir uns selbst der Gefahr aussetzen, korrumpiert zu werden, mit allen Mitteln" bekämpfen, sagt der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck, Klaus Schröder, hat im APA-Interview eine gründliche Aufarbeitung des "System Pilnacek" gefordert. Vorgänge rund um den suspendierten Sektionschef Christian Pilnacek müssten in einer externen Untersuchung unter die Lupe genommen werden, forderte er. Insgesamt sah er - "wenn man den nationalen und internationalen Berichten" folge - in Österreich ein "Korruptionsproblem". Die Justiz sei dem aber gewachsen, betonte Schröder.

Wenn politische Organe unter Korruptionsverdacht stünden, würden diese "sofort schreien, das ist politische Verfolgung". Schröder stellte jedoch klar: "Es gibt keine parteipolitische Verfolgung von Personen." Man müsse jedoch "Schwachstellen in unserem eigenen Bereich, wo wir uns selbst der Gefahr aussetzen, korrumpiert zu werden, mit allen Mitteln" bekämpfen. "Damit meine ich ganz konkret das, was man in den Medien als 'System Pilnacek' bezeichnet hat", verdeutlichte der OLG-Präsident.

Eine "systematische Aufarbeitung dieser Vorgänge" - unabhängig von der straf- und disziplinarrechtlichen Prüfung - sei nun seiner Ansicht nach unabdingbar. Dies könnte in Form einer externen Untersuchungskommission oder durch erfahrene und angesehene Justizorgane im Ruhestand erfolgen. Bei Justizministerin Alma Zadic (Grüne) ortete Schröder eine hohe Bereitschaft, allfällige Missstände im Haus zu beseitigen. Zudem müsse die Richterschaft selbst, wenn Kolleginnen oder Kollegen politische Interventionen in Anspruch nehmen, überprüfen, "ob diese Person noch Mitglied der Richter- und Richterinnenvereinigung sein kann". Man müsse bei Verstößen gegen die sogenannte Welser Erklärung, die solche Entwicklungen verhindern soll, zugunsten der eigenen Glaubwürdigkeit reagieren.

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von parlamentarischen Kontrollinstrumenten, nämlich rund um die Vorsitzführung im ÖVP-U-Ausschuss durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), zeichnete Schröder ein differenziertes Bild. Er halte es für "sinnvoll", wenn ein demokratisch legitimiertes Organ - in dem Fall der Nationalratspräsident - den Vorsitz unter Einbeziehung eines Verfahrensrichters und -anwalts inne habe. Dennoch müsse man die Frage stellen: "Ab wann liegt eine Befangenheit des Vorsitzenden vor?", und verglich dies mit einem Beispiel aus der Strafgerichtsbarkeit: "Wenn ein Richter zehn Einbruchsdiebstähle zu verhandeln hat und er ist bei nur einem selbst betroffen, ist er bei der Verhandlung aller zehn Diebstähle ausgeschlossen", sagte er nur.

„Demokratische Legitimation des Richters unverzichtbar"

Reformbedarf sah Schröder bei der Besetzung von Präsident und Vizepräsident des Obersten Gerichtshofes (OGH). "Das sind die einzigen richterlichen Planstellen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, für die es keinen Reihungsvorschlag durch einen Personalsenat gibt", erklärte er die Problematik. Aufgekommen war die Diskussion über Bestellungsvorgänge in der Justiz, nachdem veröffentlichte Chatnachrichten nahegelegt hatten, dass die Besetzung der Leitung der Oberstaatsanwaltschaft Wien 2014 parteipolitisch motiviert gewesen sein könnte. Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) soll sich nicht für die von der Personalkommission erstgereihte Kandidatin entschieden haben, weil diese seiner Partei nicht genehm war, sondern für OGH-Vizepräsidentin Eva Marek.

Justizministerin Zadic strebe hier eine Änderung an und habe deswegen kommende Woche zu einem Runden Tisch geladen, bei dem alle vier OLG-Präsidenten und die OGH-Präsidentin anwesend sein werden. Dass die Ernennung von Richtern völlig von politischen Entscheidungsorganen losgelöst werden soll, sah Schröder aber nicht als Lösung. "Es ist aus meiner Sicht demokratiepolitisch absolut nicht vertretbar, dass sich die Richter aus sich selbst heraus mit eigenen Entscheidungen ergänzen", hielt er fest. "Die demokratische Legitimation des Richters ist unverzichtbar", meinte Schröder - ansonsten drohe ein "Richterstaat". Neben der Auswahl durch die Justizministerin und der Ernennung durch den Bundespräsidenten brauche es aber noch die Ebene der unabhängigen Personalsenate, die ihre Besetzungsvorschläge vorbringen.

In der "Sideletter-Affäre", wo Vereinbarungen der Koalitionsparteien ÖVP und Grüne über die Besetzung von Spitzenpositionen in Verfassungsgerichtshof, Bundesfinanzgericht und in Verwaltungsgerichten niedergeschrieben worden waren, sah Schröder eine Beschädigung des "Ansehens der Justiz". "Ich spreche mich ganz generell, egal in welchem Bereich, dagegen aus, dass von vornherein Posten zugeteilt werden". Dies widerspreche "unserem Prinzip, das wir in der Justiz haben, nämlich die unabhängigen richterlichen Personalsenate". Insgesamt sah der OLG-Präsident - der bereits seit 40 Jahren in der Justiz tätig ist - dass "die politische Einflussnahme gerade durch das System der unabhängigen Personalsenate sehr, sehr stark zurückgedrängt ist".

Ein Instrument, das politische Interventionen hintanhalten soll, wird in Form einer weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft momentan ausgearbeitet. Derzeit habe die Justizministerin gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Weisungsrecht. Für Schröder werde dies aber "überbewertet". "Die Möglichkeiten des Ministers für gesetzeswidrige Weisungen tendieren aufgrund des jetzt schon bestehenden Sicherheits- und Kontrollsystems gegen Null". Problematisch sei aber, dass bei der Bevölkerung der Anschein entstehen könnte, "und den darf man nicht kleinreden", wog er ab.

Neos über „klare Worte“ erfreut

Ein künftiger Bundesstaatsanwalt sollte jedoch eine breite, demokratische Legitimation besitzen - also idealerweise per Zweidrittelmehrheit vom Parlament bestellt werden. Weiters sollte er nur für eine Funktionsperiode bestellt werden, "damit er nicht auf eine allfällige Wiederbestellung willfährig sein könnte". Zudem dürfe man keine Verpflichtung zur laufenden Berichterstattung gegenüber dem Parlament einziehen. Eine solche solle erst nach Abschluss der Ermittlungen zulässig sein.

Erfreut über die "klaren Worte" des OLG-Präsidenten zum "System Pilnacek" zeigte sich am Sonntag Neos-Mandatarin Stephanie Krisper. "Es ist sehr erfreulich, wenn jetzt auch hochrangige Vertreter der Justiz unsere Forderung nach Aufklärung bestätigen." Der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss werde seinen Teil dazu beitragen, versicherte Krisper in einer Stellungnahme gegenüber der APA. "Es geht schließlich nicht nur um die Frage, auf welchen Wegen ÖVP-Leute unsere Republik als Selbstbedienungsladen missbrauchten, sondern auch, warum sie sich dabei so sicher fühlen konnten: weil vor der Strafjustiz manche gleicher waren."

SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer zeigte sich ebenfalls "dankbar für die klaren Worte". Die Aussagen Schröders würden einmal mehr die Notwendigkeit des U-Ausschusses verdeutlichen. Krainer sieht sich zudem in der Forderung bestärkt, dass Sobotka den Vorsitz im U-Ausschuss wegen Befangenheit zurücklegen müsse: "Wenn Sobotka schon nicht auf verschiedene Politiker*innen aller Parteien hört, dann soll er zumindest auf erfahrene Richter, wie es der OLG-Präsident ohne Zweifel ist, hören."

Der ehemalige OLG-Senatspräsident und Bundesgewerkschaftsvorsitzende Schröder ist seit 2013 Präsident des OLG Innsbruck und damit für Tirol und Vorarlberg zuständig. Der im Jahr 1987 ernannte Richter muss im Juli - obwohl noch nicht amtsmüde, wie er gegenüber der APA betonte - den Ruhestand antreten. Das Bewerbungsverfahren für seine Nachfolge laufe derzeit. Schröder rechnete damit, dass man Ende Juni mit einem Ergebnis rechnen könne.

(APA)

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