Ukrainekrise

Putin will über Anerkennung von Separatisten-Regionen entscheiden

Ein Blick auf ein provisorisches Unterbringungszentrum für die Bevölkerung aus den von den Separatisten kontrollierten Regionen der Ostukraine, das sich in einer örtlichen Sportschule in der Stadt Taganrog im Gebiet Rostow, Russland, befindet.
Ein Blick auf ein provisorisches Unterbringungszentrum für die Bevölkerung aus den von den Separatisten kontrollierten Regionen der Ostukraine, das sich in einer örtlichen Sportschule in der Stadt Taganrog im Gebiet Rostow, Russland, befindet.REUTERS
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Noch am Montag will der russische Präsident seine Entscheidung mitteilen. Es wäre die nächste Eskalationsstufe und würde Russland den Weg für einen Einmarsch in die Ostukraine ebnen. Ob ein von Frankreich eingefädelter USA-Russland-Gipfel zustande kommt, ist unklar.

Es ist erneut ein Tag der wechselhaften Zeichen im Konflikt um die Ostukraine. Erst schien es, als hätte Frankreichs Präsident Macron die Möglichkeit für ein Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin geschaffen. Auch wenn Russland das nicht ausschließt, bremst man im Kreml doch deutlich. Für weitere diplomatische Verhandlungen wäre auch die Anerkennung der Separatistengebiete durch Russland ein Rückschlag. Die kriegerischen Handlungen und gegenseitige Vorwürfe nehmen zu, Großbritannien ortet darin die Umsetzung des russischen „Drehbuchs“ für einen Einmarsch in die Ukraine.

Russlands Präsident erklärte am Montag, man müsse erwägen, ob die Separatisten-Regionen im Osten der Ukraine anerkannt werden sollten. Er will noch heute (Montag) darüber entscheiden.Das sagte Putin nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats, die live im Staatsfernsehen gezeigt wurde. Eine Rede an die Nation soll ebenfalls noch Montagabend folgen. Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu, sprachen sich für die Anerkennung der Regionen aus.

"Ich bitte Sie, die Souveränität und Unabhängigkeit der Volksrepublik Luhansk anzuerkennen", sagte Rebellenchef Leonid Pasetschnik am Montag in einer im russischen Fernsehen ausgestrahlten Videobotschaft. Der Separatistenführer in der selbsternannten "Volksrepublik" Donezk, Denis Puschilin, schloss sich der Forderung an. Er rief Moskau zudem auf, eine Zusammenarbeit "im Bereich der Verteidigung" einzuleiten.

Auch das russische Parlament hatte in der vergangenen Woche eine Resolution an Putin mit der Bitte um Anerkennung der "Volksrepubliken“ verabschiedet. Mit einem solchen Schritt könnte er den Weg ebnen für einen militärischen Einmarsch Russlands in die Ostukraine.

„Saboteure" getötet

Die russische Armee hat nach eigenen Angaben fünf aus der Ukraine kommende "Saboteure" auf russischem Boden getötet. Russische Nachrichtenagenturen meldeten am Montag unter Berufung auf die Armee, die "fünf Personen" hätten die russische Grenze verletzt und seien "eliminiert" worden. Zudem hätten bei dem Vorfall in der Früh in der Region von Rostow zwei ukrainische Militärfahrzeuge versucht, die Grenze zu überqueren. Die Ukraine dementierte die Darstellung. Es handle sich um Fake News, Ukrainer seien nicht in Rostow präsent. "Wir können sie nicht daran hindern, Falschnachrichten zu produzieren - aber wir betonen immer, dass wir nicht auf zivile Infrastruktur schießen oder auf Gebiet in der Region Rostow oder was auch immer", sagte der ukrainische Militärsprecher Pawlo Kowaltschuk. 

Die Nachrichtenagentur dpa berichtet außerdem, dass der Separatistenführer der selbst ernannten Volksrepublik Donezk alle Männer zu den Waffen gerufen hat, um gegen ukrainische Regierungstruppen zu kämpfen. Puschilin spricht von massivem Beschuss von ukrainischer Seite. Überprüfbar sind diese Angaben nicht. In Donezk seien zwei Schulen, ein Krankenhaus und ein Umspannwerk getroffen worden, teilen die Behörden dort mit.

Aus Großbritannien hieß es, dass der Plan des russischen Präsidenten Putin bereits begonnen habe, sagte der Sprecher von Premierminister Boris Johnson am Montag. "Die Geheimdienstinformationen, die wir sehen, deuten darauf hin, dass Russland eine Invasion plant", sagte der Sprecher vor Reportern. "Wir sehen Elemente des russischen Drehbuchs ('Playbook', Anm.), die wir in bestimmten Situationen erwarten würden, beginnen sich in Echtzeit zu entwickeln."

Auch die US-Regierung ortet eher eine Zuspitzung als Entspannung. „Wir haben gerade in den letzten 24 Stunden weitere Bewegungen russischer Einheiten an die Grenze gesehen, für die es keine andere gute Erklärung gibt, als dass sie sich für einen Angriff in Position bringen“, sagte der Sicherheitsberater von Präsident Biden, Jake Sullivan, im US-Fernsehen. Der genaue Zeitpunkt einer Invasion könne man nicht vorhersagen, ein Angriff sei aber bereits in „den kommenden Stunden oder Tagen“ möglich.

Debatte um möglichen Gipfel

Frankreichs Präsident Macron hatte sich am Sonntag und Montag bemüht, einen Gipfel zwischen USA und Russland zu ermöglichen. Das Treffen "kann nur stattfinden, wenn Russland nicht in die Ukraine einmarschiert", hieß es am Sonntagabend weiter, nachdem Macron zuvor mit den beiden Staatslenkern telefoniert hatte. Aus dem französischen Élysée-Palast hatte es zuerst geheißen, beide Staaten hätten dem Gespräch zugestimmt.

Der Kreml zeigt sich in einer öffentlichen Reaktion auch grundsätzlich offen für einen Gipfel. Jedoch ergänzte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow: "Es ist zu früh, um über konkrete Pläne zur Organisation irgendwelcher Gipfel zu sprechen." Wenn es nötig sei, könnten Putin und Biden aber jederzeit in Kontakt treten. Putin berief außerdem den russischen Sicherheitsrat ein.

US-Präsident Biden stimmte nach Angaben des Weißen Hauses "im Prinzip" einem Treffen bereits zu. "Wir sind immer bereit zur Diplomatie", sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki. "Wir sind aber auch bereit, schnelle und harte Konsequenzen zu ziehen, sollte sich Russland stattdessen für einen Krieg entscheiden."

Die Ukraine will ebenfalls teilnehmen. "Niemand kann unser Problem ohne uns lösen", sagt der Chef des Obersten Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, Oleksij Danilow. "Alles sollte mit unserer Beteiligung geschehen."

Ein etwaiges Treffen zwischen den Präsidenten der USA und Russlands könnte von den jeweiligen Außenministern, Antony Blinken und Sergej Lawrow, bei ihrem Treffen diese Woche in Genf am Donnerstag vorbereitet und präzisiert werden.

Satellitenbilder zeigen Aufrüstung, Berichte von zwei getöteten Zivilisten

Neu aufgenommene Satellitenbilder zeigen die neuen militärische Aktivitäten in Russland in der Nähe der Grenze zur Ukraine. Das in den USA ansässige Unternehmen Maxar Technologies meldete die Stationierung weiterer Truppen und Panzerausrüstung an mehreren Orten entlang des Grenzverlaufs. Die neue Aktivität stelle eine Änderung in der Struktur der zuvor beobachteten Stationierung von russischen Kampfeinheiten dar, hieß es.

Der US-Regierung liegen Medienberichten zufolge zudem Geheimdienstinformationen vor, wonach Moskau seinem Militär an der Grenze zur Ukraine den Befehl gegeben haben soll, mit Einmarschplänen fortzufahren. Diese Information von voriger Woche soll US-Präsident Biden am Freitag zu der Aussage veranlasst haben, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Entscheidung zum Angriff getroffen habe, berichteten "New York Times" und der Sender CBS am Sonntag unter Berufung auf Beamte.

Der Befehl bedeute aber nicht, dass eine Invasion sicher sei, da Putin seine Meinung immer noch ändern könne. Die Geheimdienstinformationen sollen auch zeigen, dass 40 bis 50 Prozent der mehr als 150.000 russischen Soldaten an der ukrainischen Grenze sich in Kampfformation begeben hätten und innerhalb weniger Tage einen Angriff starten könnten, schrieb die "New York Times". Bei einigen der Truppen soll es sich demnach um russische Reservisten handeln, die nach einer Invasion eine Besatzungstruppe bilden könnten. Die Beamten haben der Zeitung zufolge keine weiteren Details zu den Informationen genannt, lediglich dass diese vertrauenswürdig seien.

Nehammer telefoniert mit von der Leyen und Scholz

Die europäischen Politiker waren auch am Montag in intensiven Gesprächen. Deutschlands Kanzler Olaf Scholz hat  Putin vor einer Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten gewarnt. Ein solcher Schritt stünde "im krassen Widerspruch" zu den Minsker Abkommen zur friedlichen Beilegung des Konflikts in der Ostukraine und wäre ein "einseitiger Bruch" dieser Vereinbarungen seitens Russlands, sagte Scholz nach Angaben seines Sprechers am Montag in einem Telefonat mit Putin.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Montag mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dem deutschen Bundeskanzler Scholz und OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid zur Ukraine-Krise telefoniert. Nehammer erklärte anschließend: "Die Situation ist brandgefährlich."

Montagmittag traf der Bundeskanzler mit den Parlamentsklubs zu einem Sicherheitsbriefing mit den Nachrichtendiensten zusammentreffen, um ein aktuelles Lagebild zu bekommen und die weitere Vorgehensweise zu definieren. Darüber hinaus werde am Montagnachmittag eine Sondersitzung des Ständigen Rates der OSZE in Wien stattfinden. Für Österreich werde der Generalsekretär des Außenministeriums, Botschafter Peter Launsky-Tieffenthal, an der Sitzung teilnehmen.

Weitere militärische Gewalt und Krieg - konventionell, im Cyberraum oder hybrid - würden kein einziges Problem lösen, sondern nur noch mehr Leid erzeugen. Dieser Weg ließe uns alle als Verlierer dastehen. Das müssen und können wir gemeinsam verhindern", sagte Launsky laut seinem vorab übermittelten Redetext.

(APA/dpa/Reuters/AFP/Red.)

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