Brüssel

EU lehnt Kiews Forderung ab: Keine sofortigen Sanktionen gegen Russland

Ein Bild von der Münchener Sicherheitskonferenz vom Samstag: Josep Borrell (li.) im Gespräch mit Dmytro Kuleba.
Ein Bild von der Münchener Sicherheitskonferenz vom Samstag: Josep Borrell (li.) im Gespräch mit Dmytro Kuleba.REUTERS
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Der ukrainische Außenminister Kuleba erwartet beim EU-Außenministerrat Entscheidungen. Doch EU-Chefaußenpolitiker Borrell sieht den richtigen Zeitpunkt für Sanktionen noch nicht gekommen.

Die Außenminister der EU-Staaten beraten am Montag in Brüssel über die jüngsten Entwicklungen im Ukraine-Konflikt. Mit Besorgnis werden vor allem die zunehmenden Waffenstillstandsverletzungen in der Ostukraine gesehen. Es wird befürchtet, dass Kremlchef Wladimir Putin die dortigen Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen als einen Vorwand für einen Einmarsch in das Nachbarland nutzen könnte.

Die EU wird vorerst keine Sanktionen gegen Russland verhängen, sagte der Chef der EU-Außenpolitik am Montag. Damit wies er eine Forderung aus Kiew zurück, solche Schritte jetzt zu unternehmen, um einen Krieg zu verhindern, und nicht bis nach einer möglichen russischen Invasion zu warten. "Wir erwarten Entscheidungen", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nach seiner Ankunft in Brüssel. "Es gibt viele Entscheidungen, die die Europäische Union jetzt treffen kann, um Russland klar zu signalisieren, dass seine Eskalation nicht toleriert wird und die Ukraine nicht allein gelassen wird."

"Wir glauben, dass es gute und legitime Gründe gibt, zumindest einige der Sanktionen jetzt zu verhängen, um zu zeigen, dass die Europäische Union nicht nur über Sanktionen redet, sondern sie auch in die Tat umsetzt."

Der EU-Außenbeauftrage, Josep Borrell, sowie einige der versammelten Außenminister machten jedoch deutlich, dass die EU noch keine Sanktionen zu verhängen gedenkt. Borrell sagte, er werde eine außerordentliche EU-Sitzung einberufen, um Sanktionen zu beschließen, "wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist".

Aber nicht alle EU-Lönder wollen abwarten. Litauen verlangt etwa zusätzliche Sanktionen der EU gegen Belarus, weil das Land mitten in den Spannungen zwischen Russland und der Ukraine russische Truppen aufgenommen hat. Sanktionen könnten zum Beispiel auf Öl- und Kali-Ausfuhren abzielen, sagt Außenminister Gabrielius Landsbergis in Brüssel.

Österreichs Außenminister Schallenberg sagte am Sonntagabend in der "ZiB 2", auf diplomatischer Ebene müsse weiterhin alles unternommen werden, eine kriegerische Auseinandersetzung zu vermeiden. Bezüglich angedrohter Sanktionen gegen Russland betonte er, dass "Abschreckung und Dialog" das richtige Mittel sei. Wenn es aber zu militärischen Aktionen Russlands komme, "wird es massive Sanktionen geben, die wir nicht wünschen, aber wir werden sie machen müssen".

Schallenberg: „Zeichen stehen auf Sturm"

Die Ukraine fordert von der EU rasch zu handeln. "Sanktionen sind eine Reaktion, wie eine Art Bestrafung, das kann und sollte man nicht im Vorfeld machen", sagte Schallenberg am Montag vor dem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen. Übergriffe an der Kontaktlinie "haben wir leider Gottes die vergangenen Jahre öfters gehabt, das ist noch nicht die militärische Aggression von Russland", betonte er weiters. Aber die "Zeichen stehen auf Sturm, wir haben fast zwei Drittel der konventionellen Streitkräfte Russlands, die an der ukrainischen Grenze stehen".

Zu wenig Aufmerksamkeit bekommen nach Meinung Schallanbergs die jüngsten Entwicklungen in Belarus (Weißrussland). "Im Schatten des Russland-Ukraine-Konflikts sehen wir mehr oder weniger eine Annexion von Belarus", sagte der Außenminister. Belarus und Russland halten seit zehn Tagen gemeinsam ein großes Militärmanöver ab. Präsident Alexander Lukaschenko habe "zu einem gewissen Grad die Souveränität" des Landes abgegeben. "Ich habe Zweifel daran, dass die Russen jemals wieder Belarus verlassen werden."

Finanzielle Hilfe für Ukraine bewilligt

Die Außenminister haben finanzielle Nothilfe für die Ukraine in Milliardenhöhe unterdessen am Montag bewilligt - in der Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Der Kredit soll in zwei Tranchen ausgezahlt werden. Der Vorschlag dazu kam von der EU-Kommission.

Die Unterstützung wurde in nur 21 Tagen im Schnellverfahren bewilligt, um die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität der Ukraine zu sichern. "Die anhaltenden Sicherheitsbedrohungen haben bereits einen erheblichen Kapitalabfluss ausgelöst", so die EU. Durch die erhöhte geopolitische Unsicherheit verliere die Ukraine den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten. Nach Angaben der EU-Kommission haben die EU und ihre Finanzinstitutionen der Ukraine seit 2014 bereits mehr als 17 Milliarden Euro in Krediten und Zuschüssen zur Verfügung gestellt.

Von der Leyen droht mit „massiven Konsequenzen"

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstrich unterdessen ebenfalls die Drohung des Westens, dass Russland im Fall eines Angriffs auf die Ukraine "massive Konsequenzen" zu erwarten hat. Zum angedachten Sanktionspaket sagte sie am Sonntag in einem Interview der ARD-Sendung "Anne Will": "Die Finanzsanktionen bedeuten für den Kreml, dass wenn sie militärische Aggressionen gegen die Ukraine fahren, Russland im Prinzip abgeschnitten wird von den internationalen Finanzmärkten." Und die Wirtschaftssanktionen beträfen auch "alle die Güter, die Russland dringend braucht, um seine Wirtschaft zu modernisieren und zu diversifizieren, die aber von uns hergestellt werden, wo wir globale Dominanz haben und die Russland nicht ersetzen kann". Russland habe eine klare Schwachstelle, das sei seine Wirtschaft, "die im Prinzip fast ausschließlich ausgerichtet ist auf die alten fossilen Brennstoffe, Energieträger, nämlich Öl, Kohle und Gas".

Von der Leyen sprach sich ebenfalls dagegen aus, die Sanktionen bereits jetzt zu verhängen, wie von der Ukraine angesichts der jüngsten Eskalation gefordert. Vor dem Hintergrund der Russland-Ukraine-Krise äußerte sie aber auch Zweifel an der Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte von der Leyen: "Es wird für ihn nicht einfach sein, auch seiner Bevölkerung zu erklären, warum er die Ukraine angreift und warum er sehenden Auges diese massiven Konsequenzen für Russland in Kauf nimmt."

Absage in puncto eigenständige Militärausbildungsmission

Die US-Regierung hat Insidern zufolge ein erstes Sanktionspaket gegen Russland schon vorbereitet, das auf den Bankensektor abzielt. Vorgesehen sei unter anderem, US-Finanzinstituten die Abwicklung von Transaktionen für große russische Banken zu verbieten, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters von drei mit der Angelegenheit vertrauten Personen. Ziel der Maßnahmen sei es, der russischen Wirtschaft zu schaden. Die Sanktionen sollen den Angaben zufolge nur im Falle einer russischen Invasion der Ukraine umgesetzt werden.

Einem Zeitungsbericht zufolge lehnte die Europäische Union die Forderung der Regierung in Kiew nach einer eigenständigen militärischen Ausbildungsmission ab. Stattdessen einigten sich die zuständigen EU-Gremien Ende vergangener Woche intern auf eine Beratungsmission im Rahmen der sogenannten Europäischen Friedensfazilität (EPF), die aber zunächst nur ein Jahr dauern und dann neu bewertet werden soll, berichtet die deutsche Zeitung "Die Welt" unter Berufung auf EU-Diplomaten. Die EU-Außenminister sollen laut Bericht die Maßnahme bei ihrem Treffen am Montag in Brüssel offiziell absegnen und verkünden. Deutschland und Italien hatten sich nach Angaben des Blattes gegen eine eigenständige Ausbildungsmission ausgesprochen, um die Russland nicht zu provozieren.

Auch Lage in Bosnien und Herzegowina auf der Agenda

Weitere Themen auf der Tagesordnung des Außenministertreffens sind die Lage in Bosnien und Herzegowina und in Mali. Bosnien und Herzegowina befindet sich nach Einschätzung der EU in einer der schwersten politischen Krisen seit dem Ende des bewaffneten Konflikts im Jahr 1995. Der bosnische Serbenführer Milorad Dodik treibt seine Abspaltungspläne bosnischen Republika Srpska voran. Schallenberg äußerte sich "äußerst" besorgt. "Die Integrität von Bosnien-Herzegowina steht nicht zur Disposition", betonte er.

Mit Blick auf Mali muss die EU entscheiden, ob sie infolge des jüngsten Putsches in dem Land ihren Ausbildungseinsatz EUTM für die malischen Streitkräfte beendet. "Wir beobachten die Situation sehr, sehr genau und würden auch als Österreich, wenn notwendig, unsere Schlüsse ziehen", betonte Schallenberg. Wichtig sei, dass hier "im europäischen Gleichschritt" gehandelt werde.

Das Bundesheer ist im Rahmen von zwei Missionen mit rund 80 Soldaten in dem Land präsent: der EU-Ausbildungsmission EUTM, wo Österreich derzeit auch das Kommando innehat, in der malische Soldaten ausgebildet werden, und an der UNO-Mission Minusma, die zum Schutz der Zivilbevölkerung beitragen soll.

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(APA/dpa/Reuters)

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