Mythos der alpinen Helden

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Der letzte klassische Wilderer starb 1982: "durch Jägerhände". Recht und Unrecht rund um die Bergrebellen, die sich von der Natur nahmen, was nach ihrem Verständnis und laut altem germanischen Recht ihnen gehörte.

Kühne Männer mit rußgeschwärzten Gesichtern in gefährlichem Gelände: Eine Flut von Heimatfilmen, Groschenromanen und Liedtexten widmet sich dem Mythos des Wildschützen als alpinem Helden. Entstanden ist diese Form romantischer Wildererverklärung im 19. Jahrhundert, als die Gebirgspfade noch unausgetreten waren und die bergsteigenden und naturverbundenen Wilderer Objekte der Bewunderung wurden.

Die Bergrebellen nahmen sich von der Natur, was nach ihrem Verständnis und laut altem germanischen Recht ihnen gehörte. Bis ins Mittelalter durften freie Bauern jagen, um Wildschäden zu vermeiden oder sich zu ernähren. Als der Adel das Recht zu jagen für sich beanspruchte und als auch nach dem Revolutionsjahr 1848 die Jagd eine Beschäftigung für Privilegierte blieb, wurden die Wilderer zu – in den bäuerlichen Gesellschaften oft hoch angesehenen – Outlaws. Das Wildern war auch Initiationsritus. Nach einem alten Brauch wurde nur jenen jungen Männern beim nächtlichen „Fensterln“ geöffnet, deren Lederhose aus der Haut einer selbst geschossenen Gams gemacht war.


Ende des Wilderermythos. Erwin Degelsegger aus dem Stodertal im Sensengebirge hat in seiner Jugend in der Nachkriegszeit begonnen, hin und wieder die Mahlzeiten durch gewildertes Fleisch aufzubessern. Dass er einmal mit der Büchse des Jägers, den er nach einer halben Flasche Schnaps in sein Haus getragen hatte, eine Gams erlegte, erzählt der betagte Mann noch heute gern.Nicht immer verlief das Zusammentreffen zwischen Jägern und Wilderern so friedlich. Einer der letzten, der den klassischen Wilderermythos verkörperte und der unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen zu Tode kam, war Pius Walder. „Christliches Andenken an Pius Walder, der am Mittwoch, den 8. September 1982, im Alter von 30 Jahren durch Jägerhände meuchlings erschossen wurde“, steht auf seinem Partezettel, der im Wilderermuseum in St. Pankraz in Oberösterreich ausgestellt ist. Unter dem Porträt des jungen Mannes aus dem abgelegenen Dorf Kalkstein im Osttiroler Villgratental ist auch sein rasierter Hinterkopf mit dem Einschussloch im Genick zu sehen. Achtmal wurde an diesem Tag, an dem Walder und dessen Bruder Hermann das Wild verfolgten, auf den 30-Jährigen geschossen, die letzte Kugel traf. Der Jäger wurde zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt, nach eineinhalb Jahren folgte die vorzeitige Entlassung.

Danach musste er den Ort verlassen. „Er musste aus der Schusslinie“, sagt Gertraud Zotter, Leiterin des Wilderermuseums, in dem sich ein großer Teil der Ausstellungsfläche in einem umgebauten Heustadl dem Mythos von Pius Walder widmet. Noch beim Begräbnis haben Walders Brüder Rache geschworen. Seitdem sei die letzte Ruhestätte zu so etwas wie einer Pilgerstätte für Wanderer und Reisegruppen geworden, erzählt Zotter: „Hin und wieder liegen Teile einer gewilderten Gams auf dem Grab.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2010)

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