Der magyarische Richard Strauss

Capriccio CD
Capriccio CD
  • Drucken

Ernst von Dohnányi. Eine neue CD präsentiert Solokonzerte des bedeutenden Bartók-Zeitgenossen, der sein Leben lang an der Romantik festhielt.

Die CD macht's möglich. Sie konfrontiert uns mit Musik, die jahrzehntelang ungespielt in den Archiven schlummerte. Die Zeitläufte waren unbarmherzig. Weder kam es zur gegebenen Zeit zu einer Wiedergutmachung an Komponisten, deren Musik von den großen Diktaturen auf den Index gesetzt worden war, die fliehen mussten oder gar in den Vernichtungslagern ihr Leben ließen.

Ewiger Romantiker

Was diesen Teil der unterschlagenen Musikgeschichte betrifft, ist in der jüngeren Vergangenheit immerhin einiges gutgemacht worden. Nur zögerlich gedenkt man jener Komponisten, die in schlimmen Zeiten nicht verfolgt wurden, deren Schaffen dann aber den Doktrinen und "Ismen" der Nachkriegszeit zum Opfer fiel. Einer von ihnen war Ernst von Dohnányi, Mitglied der ungarischen Komponisten-Phalanx zwischen Bartók, Kodály und Leo Weiner, die das breite Spektrum stilistischer Möglichkeiten der Zwischenkriegszeit erkundete. Dohnányi fiel sozusagen die Rolle des magyarischen Richard Strauss zu, ein Spätromantiker von beeindruckender Erfindungsgabe, den die Zeitgenossen auch als Pianisten ästimierten. Das sicherte ihm, der nach 1945 nicht mehr erwünscht war, weil er es sich zuvor zu arrangieren wusste, ein Auskommen in den USA. Als Komponist war er längst démodé.

Das ist er geblieben, und das müsste nicht so sein. Auf dem Label Capriccio erschienen zuletzt Werke aus Dohnányis Feder — unter starker österreichischer Beteiligung vom RSO Wien bis zu Roberto Paternostro. Einen entscheidenden Beitrag leistete die Pianistin Sofia Gülbadamova, die sich Dohnányis anspruchsvollem Soloklavierwerk stellte, aber auch den beiden Klavierkonzerten mit Gespür für des Komponisten Ansprüche an Sentiment ohne Sentimentalität, an klangliche Nuancierung und Subtilität ohne Kitschigkeit. Gülbadamova ist nun auch mit von der Partie bei der jüngsten CD der Reihe, die allen ans Herz gelegt sei, die an einer ersten Begegnung mit Dohnányis Musik interessiert sind.

Genussmuffel? Finger weg!

Da sind einmal die "Variationen über ein Kinderlied", Dohnányis geistvollstes Werk überhaupt, ein Kompendium klanglichen Raffinements, pianistischer Virtuosität und humorvoller Hintergründigkeit — schon der Überraschungscoup beim Eintritt des Variationsthemas sichert ihm den ersten Lacher; es folgen deren viele — und nebstbei auch Musik zum Zurücklehnen und Genießen. Ja, auch das darf man bei Musik des 20. Jahrhunderts. Wer das ablehnt, sollte freilich die Finger von dieser CD lassen.

Wer's doch wagt, zumindest im stillen Kämmerlein seine romantischen Saiten zum Schwingen bringen zu lassen, wird nicht enttäuscht. Von den spritzigen Variationen nicht und schon gar nicht vom "Konzertstück op. 12", einem Cellokonzert (Solist: Andrei Ionita) in einem großen dreiteiligen Bogen, ein Adagio inmitten, das zum Schönsten gehört, das die Spätromantik zu bieten hat — Strauss und Co. eingeschlossen. Ein spätes, formal ähnlich angelegtes Harfen-Concertino dazu (mit Silke Aichhorn als Solistin), das in der schmalen tauglichen Literatur für dieses Instrument neben Ginasteras brillantem Konzert bestehen könnte.

Wenn man es nur spielte. Das gilt für alle drei Werke der CD, der die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Modestas Pitrėnas die solide Grundlage sichert. Es gibt von den Variationen brillantere Einspielungen, nicht zuletzt von Dohnányi selbst oder von András Schiff mit den Wiener Philharmonikern unter Georg Solti. Dieses für den rechten Dohnányi-Klang sozusagen prädestinierte Orchester hatte sogar einmal mit seinem damaligen Solocellisten Robert Nagy unter Lorin Maazel das "Konzertstück" aufs herrlichste zelebriert; doch kein ORF-Mikro war zugegen. Damit so etwas nicht noch einmal passiert, sei die neue CD nicht nur neugierigen Musikfreunden empfohlen, sondern auch Rundfunkproduzenten und — vor allem — Intendanten, die endlich einmal Dohnányi aufs Programm setzten sollten . . .

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.