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"Belfast": Der irische Bürgerkrieg aus Kinderperspektive

"Belfast" von Kenneth Branagh.
"Belfast" von Kenneth Branagh.(c) Universal
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In „Belfast“ lässt Kenneth Branagh seine Kindheit während der Unruhen in Nordirland Revue passieren. Das hoffnungsfrohe Sittenbild des Oscar-nominierten Dramas trifft den Nerv der Zeit – schwimmt aber auch im Kitsch.

Gemächlich gleitet die Kamera über das Hafengelände – vorbei an Kränen und Kreuzfahrtschiffen, Graffitis und Skulpturen, an Parks, Backsteinbauten und den prunkvollen Aluminiumfassaden des Titanic-Museums. Die Sonne geht auf, die Farben sind kräftig, der Himmel ist blau. Im Hintergrund intoniert Van Morrison mit weltmännischer Gelassenheit eine soulige Ode an die Freude: „Man, I felt the glory / When I was coming down to joy.“

Als dann der Filmtitel „Belfast“ auf der Leinwand aufscheint, in großmütigen gelben Lettern, wähnt man sich fast in einem Werbespot nordirischer Tourismusbehörden. Nichts mehr ist faul in dieser Stadt, scheint seine Platzierung über anheimelnden Panoramabildern zu verkünden.

Unter diese nostalgisch-erbaulichen Vorzeichen stellt Sir Kenneth Branagh sein Gedächtnisdrama „Belfast“, das heuer für sieben Oscars nominiert wurde – auch in den Hauptkategorien Regie und Bester Film. Sie geben den Ton vor, den der Film beibehält, als er nach seiner beschaulichen Eröffnungssequenz in kontrastreiches Schwarz-Weiß wechselt. Und ins Jahr 1969, als die junge Hauptfigur Buddy (bemüht einnehmend: Jude Hill) auf den Straßen seiner Heimatstadt herumtollt.

„Troubles“ im Schwarz-Weiß-Paradies

Überall Spiel und Spaß, Trubel und Heiterkeit, freundliche Menschen, die sich herzhaft guten Tag wünschen: ein Paradies, zumal für einen aufgeweckten kleinen Buben. Doch am Horizont brauen sich dunkle Wolken, rotten sich grimmige Unruhestifter zusammen, die buchstäblich „Unruhen“ stiften: „Troubles“, so nennt man den politisch-ethnischen Konflikt, von dem Irland und England über 30 Jahre lang erschüttert wurden, dessen Echos bis heute nachhallen.

Hier platzen sie in Form einer Explosion in Buddys unbedarftes Leben, gefolgt von einer wilden Randale vermummter Demonstranten: Wütende Loyalisten, die potenziell republikanische Katholiken aus dem Arbeiterviertel vertreiben wollen, in dem Buddys protestantische Familie wohnt. Zu seinem Glück eilt sogleich seine Mutter (Caitriona Balfe) zu Hilfe; todesmutig stürzt sie sich ins Getümmel und bringt ihren Sohn in Sicherheit, indem sie den Deckel einer Mülltonne zur Abwehr von Wurfgeschossen verwendet.

Die Zuspitzungen dieser Szene gründen auf Branaghs Entscheidung, seine autobiografisch angehauchte Jugenderinnerung – der erfolgreiche Schauspieler und Regisseur wuchs selbst in Belfast auf und zog in jungen Jahren mit seinen Eltern nach England – aus der Perspektive eines Kindes zu erzählen.

Und zwar in der Manier, wie Hollywood sich kindliche Wahrnehmung seit Steven Spielberg vorstellt: Als unermüdliche Fantasiemaschine, die alles in ein Spektakel verwandelt. Dass Belfast hier trotz reichlich Lokalkolorit oft kaum weniger künstlich wirkt als die Digitalkulissen in Branaghs rezenten Agatha-Christie-Verfilmungen, „Mord im Orient Express“ und „Tod auf dem Nil“, lässt sich damit bei Bedarf gut rechtfertigen.

Ebenso wie die narrativen Verknappungen, die „Belfast“ im Hinblick auf die Tumulte vornimmt, die seinen dramaturgischen Motor bilden: „It's all bloody religion, that's the problem“, meint Buddys besonnener Vater (Jamie Dornan), der freilich weder mit Katholiken noch mit Protestanten ein Problem hat – nur mit den Sektierern, die auftreten wie finstere Western-Schurken.

Glubschäugige Flucht in die Fantasie

Religion, dass begreift auch Buddy, ist kein guter Grund für Gewalt. Schließlich hat er sich in eine katholische Klassenkameradin verschaut. Kann das etwa Sünde sein? Ja, würde wohl der protestantische Pastor sagen, der in der Kirche mit Schaum vor dem Mund vor ewiger Verdammnis warnt – und dabei ausnehmend lächerlich anmutet. Dass die „Troubles“ auch andere, komplexere Ursachen haben könnten als Glaubenskonflikte oder Radaubrüder, diese Überlegung will Branagh weder Buddy noch dem Publikum zumuten.

Stattdessen fokussiert der 61-jährige Shakespeare-Experte die schönen Dinge: den Zusammenhalt in Buddys Familie, die damit hadert, ihre angestammte Heimat zu verlassen, bis Steuernöte ihr keine andere Wahl lassen. Das Geplänkel zwischen Buddys verschmitzten Großeltern (charmant: Ciarán Hinds und Judi Dench). Kleine Abenteuer inmitten großer Gefahr (Schoko-Diebstahl im örtlichen Krämer), die glubschäugige Flucht in Filme wie „High Noon“ und „Chitty Chitty Bang Bang“, die Lebensfreude der resilienten Stadtgemeinschaft.

Der Universalismus dieses hoffnungsfrohen Sittenbilds, das nebenher auch eine Bürgerkriegs-Fluchtgeschichte erzählt, trifft den Nerv der gespaltenen Zeit. Dass sich das Oscar-Komitee davon begeistert zeigte, wundert nicht. Dennoch gemahnt „Belfast“ weniger an die urigen Songs Van Morrisons, die seine Tonspur veredeln. Und eher an das schmalzige Streicherpathos der gleichnamigen Ballade von Elton John.

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