Leitartikel

Putins Amok als Schande Europas und die Wut auf uns

Krieg in der Ukraine
Krieg in der Ukraine(c) Emilio Morenatti / AP / picturedesk
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Die EU hat den politischen Krieg verloren, den militärischen kann sie nicht führen, der moralische rettet keinen Ukrainer.

Es ist traurig, aber wahr. Seit ihrer Gründung wurde die EU politisch noch nie so vorgeführt, gedemütigt und als das gezeigt, was wir sind. Nackt. Der Aggressor Wladimir Putin hat als Präsident des an Fläche größten Landes Europas das zweitgrößte Land des Kontinents überfallen lassen und wird mit den von ihm zu verantwortenden Tötungen von Zivilisten zum Fall für das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag. Es ist müßig, darüber zu schreiben, ob der Mann eiskalt rational wie Despoten aus vergangenen Jahrhunderten agiert oder aus einem irrationalen persönlichen Grund, dem eine Psychotherapie folgen sollte, oder beidem. Sehr viel spricht dafür, dass Putin einfach nur so handelt, weil ihn niemand daran hindert.

Der Westen reagiert, wie weder ein Ronald Reagan noch eine Margaret Thatcher gehandelt hätten – mit Worten der Empörung, noch mehr der Enttäuschung, und ein paar Wirtschaftssanktionen. Ernsthaft stellen sich Putin nur das unterlegene ukrainische Militär und eine zwangsrekrutierte Bürgerwehr, die den Blutzoll noch erhöhen wird, in den Weg. Europa schaut zu – das zumindest geeint. Dass Donald Trump dem strategischen Coup applaudiert, passt ins Bild des keineswegs unterbrochenen weltweiten Siegeszugs der neuen Autokraten. (Wäre Trump noch im Weißen Haus, hätte Putin von der Attacke vielleicht abgelassen: zu groß die Gefahr eines irrationalen Gegenschlags.) Die Vorhersehbarkeit der Regierung Joe Bidens hat die Welt zwar beruhigt, lässt aber Putin den Platz für dessen Irrsinn.

Mehrere Generationen kannten keine Pandemie und keinen großen Krieg in Europa. Nun schleicht die Angst wieder in die Wohnzimmer Europas, was unser Leben leider hässlicher macht. Dazu gehört ein ehrlicher Blick auf die neue Realität: Wir brauchen keine Schönwetter-Politiker mehr, die von Wandel und Digitalisierung plaudern, sondern Krisenmanagerinnen und Offiziere, die uns Sicherheit garantieren können – einschlägige Ausbildungen und Erfahrungen werden wichtiger als die richtige Frisur und süße Rhetorik in lokalen TV-Diskussionen. Wir brauchen vor allem eine echte Neuaufstellung der europäischen Verteidigungspolitik und des dazugehörigen Militärs: Europa, die EU wird von Putin bedroht – es, sie muss sich auch ohne USA verteidigen können. Wenn aus dem finanzstärksten Land des Kontinents, aus Deutschland, solche Nachrichten kommen, ist die Angst gerechtfertigt: Der deutsche Heeresinspekteur, Alfons Mais, sagt, die Bundeswehr stehe „mehr oder weniger blank da“. Und: „Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert.“ Soll heißen: Ohne Nato, ohne die USA als Gegner könnte Putin auch weiter gegen Westen ziehen.

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