Roman

Wilhelm Tell, der demontierte Held

Joachim B. Schmidt macht aus dem mittelalterlichen Helden Tell eine verkorkste moderne Figur.
Joachim B. Schmidt macht aus dem mittelalterlichen Helden Tell eine verkorkste moderne Figur. Eva Schram/Diogenes Verlag
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Joachim B. Schmidt wagt sich an einen Schweizer Mythos und zerlegt die Heldengeschichte von Wilhelm Tell in seine Einzelteile. Das Resultat ist ein rasanter wie spannender Thriller.

Dieser Wilhelm ist mürrisch, er ist stur und wortkarg. Auf seinem Bauernhof, der weit abseits in den Bergen über dem Dorf liegt, kämpft er erbittert um das Überleben seiner Familie. Er ist ein Wilderer, treibt sich zwischen den kargen Felsen herum, mit einer Armbrust auf dem Rücken, auf der Suche nach Gämsen und Bären. Verfilzter Bart, zerzauste, fettige Haare, vor Schmutz starre Hosenbeine – mit dem Wilhelm Tell, den wir von Friedrich Schiller kennen, hat dieser Tell herzlich wenig zu tun. Der Schweizer Autor Joachim B. Schmidt demontiert das gängige Bild des Nationalhelden, des einfachen Bauern und mutigen Freiheitskämpfers gründlich. Dieser Tell hat keine politischen Botschaften gegen die Habsburger parat, dieser Tell versucht nur, in einer feindseligen Umgebung seine Familie und sich durchzubringen.

Bei dieser Neuerzählung des berühmten Schweizer Stoffes kommt kein Heldenepos heraus. Schmidts Tell ist auch nur ein Mensch, der nicht aus seiner Haut kann und von einer Gefahr in die nächste stolpert. Im Klappentext spart der Diogenes-Verlag bei der Kurzbeschreibung nicht mit Superlativen: Als „Thriller“, „Pageturner“ und „Blockbuster im Buchformat“ wird der 283 Seiten starke Roman angepriesen. Und tatsächlich: In rasantem Tempo wird eine Geschichte erzählt, von der wir dachten, sie ohnehin zu kennen. Doch dieser Tell ist eben anders, hinter jeder Kurve lauert Neues – oder Altbekanntes in neuer Verpackung. Den Helden sucht man (glücklicherweise) vergebens, dafür tauchen neue Figuren auf, die bisher nur am Rande oder gar nicht vorkamen.

Kurze Sequenzen. Der Drive des Romans entsteht aus den rasch wechselnden Erzählperspektiven. Zwanzig Personen geben in knapp hundert kurzen Sequenzen Einblick in ihr Innerstes und zeigen ihre Sicht der Ereignisse: Tell selbst, seine Familie, der Dorfpriester, der Bauer vom Nachbarhof – und auch die Habsburgische Gegenseite, allen voran Landvogt Hermann Gessler, sein Mann fürs Grobe, Harras, besoffene Soldaten, tragische Figuren, die wie Spielsteine hin- und hergeschoben werden. Dadurch erzeugt Schmidt Tempo und ein vielschichtiges Bild, das sich am Ende zu einem großen Ganzen zusammenfügt. Dann wird zumindest zum Teil klar, warum Tell so ist, wie er ist.

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