Der Kreml verkauft den Krieg gegen die Ukraine als unblutig und steril. Soldatenmütter wissen nicht, wo ihre Söhne stecken – und suchen auf Fotos aus dem Krieg nach ihnen.
Moskau. Drei Wochen, drei elendlange Wochen. Darja Nikolajewa klingt unruhig. „Ich weiß einfach nicht, wo mein Sohn steckt. Wohl in der Ukraine. Verrichtet dort seinen Job.“ Der letzte Anruf von ihrem Jegor sei aus Belarus gekommen, seitdem: Stille. Die 43-Jährige aus einer Industriestadt am Ural wähnt ihren Sohn im „Kampf“. So nennt sie den Krieg, den ihr Land gegen die Ukraine führt. Manchmal greift sie auch auf die euphemistische Bezeichnung „Militäroperation“ zurück, unter der der Kreml seinen Angriff auf das Nachbarland ausführt. „Ich mache mir Sorgen um Jegor. Ich weine.“
Darja Nikolajewa hat sich nach der Zusicherung von Anonymität auf das Gespräch eingelassen. Sie wolle keinen Ärger, für sich nicht, für ihren Jegor ebenfalls nicht. Der 24-Jährige brauche „diese Anstellung“, er müsse seine Familie versorgen, der kleine Sohn sei erst zwei. „Wir leben in der Provinz, arbeiten beim Staat. Viel anderes gibt es hier ja auch nicht. Der Staat ist ein zuverlässiger Arbeitgeber.“ Sie und ihr Mann hätten Jegor zum Dienst in der Spezialeinheit Omon gedrängt. Sportlich sei er, die Bezahlung sei gut. Dass er jemals ein „Quasi-Militärangehöriger“ wird, daran hätten sie nicht gedacht.