Gastkommentar

Coronakrise: Apekte des Unbehagens, Teil 3

Coronavirus - FFP2-Maske
Coronavirus - FFP2-MaskeAPA/dpa/Marijan Murat
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Wird man sich „nach Corona“ noch an die teils jäh gescheiterten Diskussionen darüber erinnern? Erinnern wollen?

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Vorangehende Beiträge der Autorin:
>>> Aspekte des Unbehagens, Teil 1
>>> Aspekte des Unbehagens, Teil 2

2G im Handel ist gefallen, 3G in der Gastronomie wieder eingeführt – und schließlich sind bald sämtliche Gs Geschichte: Große Erleichterung da wie dort (naja, außer in Wien):
Die ehemals schallenberg’schen Zügel werden wieder lockerer geschnallt; die Impfpflicht, die an dieser Stelle - ob der ihr mannigfach anhaftenden Facetten des Grotesken - nicht besprochen werden soll, bröckelt.

Rasch ist man dazu verleitet, sich nur über die Lockerungen zu freuen und den unangenehmen Rest endlich hinter sich zu lassen – was durchaus gelegentlich zu empfehlen ist. Völliges Vergessen der obrigkeitsstaatlichen Auswüchse wäre aber nicht empfehlenswert; nicht erneut sollte die Gesellschaft perplex und und passiv den staatlichen Eingriffen und Schildbürgerstreichen gegenüberstehen. Es gilt, Rückschau zu halten und gleichzeitig Richtung Zukunft zu blicken: Was ist (bloß) geschehen? Wie bewerten wir die alten und neuen und vielleicht bald wieder neuen alten Maßnahmen? Wie geht es weiter?

Fluide Eintrittstickets

100.000e doppelt Geimpfte wurden nicht lange vor Eintreten der Impfpflicht darüber informiert, dass ihr Impfstatus nun doch nicht neun, sondern nur mehr sechs Monate gültig sei. Ein banger Blick auf ihr Smartphone bestätigte sie: Der Grüne Passe leuchtete rot auf, Eintritt verboten, plötzlich unerwünscht und ausgesperrt.
Einen Tag zuvor konnte man selbst in Wien noch unbehelligt ein Glas Wein in einem Gasthaus zu sich führen oder sich einen neuen Pullover zulegen – dann aber wurde einem via Smartphone mitgeteilt, wohin man noch gehen darf und wohin nicht.

Die Selbstverständlichkeit, mit der diese doch weitgehend grundlagenlosen Prozesse stattfanden- und -finden, erstaunt und erschreckt. Dank der Digitalisierung ist ein „Vertrag“ auch nicht mehr wirklich festgelegt, sondern von fluider Qualität; eine Vereinbarung („Zwei Impfungen gegen neun Monate Freiheit“) ist nur mehr eine vage Möglichkeit – bei Meinungsänderung können die Strippen per Mausklick beliebig gezogen werden: Der Staat im Handy als permanenter Elternersatz.
Wird dies weiterhin je nach Bedarf so gehandhabt werden? Kann das wahrhaft gewollt werden?

„Die Wissenschaft“ als Rechtfertigung

Dass die Naturwissenschaften nicht normativ sind, was ich bereits an anderer Stelle beschrieb, wurde beharrlich und nahezu obsessiv ignoriert - aller Unlogik folgend mussten sie dann auch für die bizarrsten Regeln und Maßnahmen herhalten: Hatte es denn je einen messbar epidemiologischen Sinn, Ungeimpfte oder „abgelaufene“ Geimpfte bzw. Genesene vom Schuhkauf abzuhalten?
Wenn nicht: Wie ist eine dermaßen übergriffige Vorgehensweise dann zu rechtfertigen?

Und sollte es sich dabei um eine staatliche „Erziehungsmaßnahme“ handeln, so ist zu fragen: Wollen wir eine Gesellschaft dieser Façon wirklich etablieren? Wurde diese Maßnahme medial ausreichend hinterfragt und kritisiert? Wenn nein: Warum nicht? Hat es der 4. Macht im Staat die Sprache verschlagen?

Achso, die ist ja selbst zu Teilen noch mittendrin im 2G-Furor: Der ORF etwa lässt alle Mitarbeiter, die nunmehr als „ungeimpft“ gelten, nicht mehr im Firmengebäude arbeiten – und wenn keine „home-office-taugliche“ Tätigkeit für sie gefunden wird, werden sie eben gegangen. Selbstredend dürfen auch keine ungeimpften Gäste mehr in den Studios empfangen werden: Große Gefahr von allen Seiten gebannt. Und Kampagne für mehr Zusammenhalt gestartet: Stimmig!

Ob der ORF auch nach dem 5. März im Modus des vorauseilenden Gehorsams bleiben wird?

Vermischung von Nachricht und Kommentar

Apropos ORF: In der ZIB vom 16. 12. 2021 konstatierte Tarek Leitner mit trocken-zynischer Miene: „Derzeit bestimmen Ungeimpfte mit ihrer Entscheidung, wohin sie gehen dürfen oder nicht“. Noch unverblümter tarnte er alsdann (s)eine Meinung als Nachricht, indem er bezüglich der Demonstrationen einwarf, dass es Unwahrheiten über die Impfung seien, die die Menschen auf die Straßen treiben würden.
Dass es auch Maßnahmen wie die 2G-Regelung sein könnten bzw. das grundsätzliche Unbehagen, sich nur mehr mit einem bestimmten QR-Code frei bewegen zu dürfen, fand keine Erwähnung.

Exemplarisch steht diese seltsame und undeklarierte Mischung aus Nachricht und Interpretation für einen Trend im Journalismus, der ihn an Glaubwürdigkeit verlieren lässt, weil er Sendungsbewusstsein über Redlichkeit stellt. Dauer-twitternde Journalisten, die ihren allzu wertvollen Senf zu allem und jedem abgeben müssen, fügen sich stimmig in dieses Bild: „Hätt‘st geschwiegen, wärst ein Philosoph geblieben“ lassen die alten Römer im Kopf in die Gehirnwindungen projizieren.

Dass sich Menschen auf die Suche nach Ergänzungen des üblichen journalistischen Wahrnehmungsspektrums begeben, also „alternative Medien“ konsultieren, verwundert angesichts der schlichtweg unübersehbaren Entwicklung wenig.
Auf einem anderen Blatt steht, dass freilich auch auf diesen Kanälen nicht durchgehend sauber gearbeitet wird; von den klassischen würde man es sich aber mit größerer Selbstverständlichkeit erwarten.

Plötzlich zählt massiv die Mehrheit

Auch in jenen Kreisen, in denen sonst der Minderheitenschutz über alles ging, entdeckte man die Faszination der Mehrheit; der „stillen Mehrheit“ wohlgemerkt, die laut Umfragen sehr, sehr lange für strenge Maßnahmen gegenüber Ungeimpften, für die Impfpflicht, ja für nahezu alles gewesen sei, was Mückstein und Co. vorgaben.

Die sogenannte Mehrheit war und ist oft so still, dass man sich fragt, ob sie sich überhaupt noch im Bereich des Wahrnehmbaren bewegt – aber sie soll entscheidend und ausschlaggebend sein; mit ihr lassen sich allerhand totalitär anmutende Tendenzen seelenruhig verteidigen:
Eine doch große Bevölkerungsgruppe der Ungeimpften, aber in der Minderheit, könnte den Böhmermanns, Bosettis und Sargnagels dieser Welt gemäß überhaupt guten Gewissens von der Gesellschaft abgespalten, ja, „abgeworfen“, werden - wie ein Blinddarm eben.
Das sind doch schöne Bilder voll menschlicher Wärme – wie man sie eben von den sympathischen Tugendwächtern der Neuzeit gewohnt ist.

Dass man mit vielen kleinen Schritten zum Bösen vordringt, von denen jeder zu klein für eine große Empörung scheint, dass zuerst gesagt und dann getan wird – wie Köhlmeier einmal in anderem Zusammenhang richtig bemerkte: Davon darf nun keinesfalls die Rede sein.

Kampfbegriffe einwerfen statt nachdenken

Wird man sich „nach Corona“ noch an die teils jäh gescheiterten Diskussionen darüber erinnern? Erinnern wollen? Die Fronten zwischen Maßnahmenbefürwortern und -skeptikern beginnen zwar endlich zu bröckeln, aber auch jetzt fallen immer noch sehr rasch und unbedacht Zuschreibungen wie „Schwurbler“, „Verschwörungstheoretiker“ oder auch: „Schlafschaf“.

Dies lässt den Verdacht aufkeimen, dass sie wohl nicht ausschließlich nach Abwägen aller Argumente eingesetzt werden, sondern als inflationäre Floskeln des „virtue-signalling“; jedenfalls sind sie der Todesstoß jeder Diskussion, danach hat sie keinen Sinn mehr, die Gräben sind abgesteckt, das Nachdenken wird eingestellt und somit ist niemandes kleines Wirklichkeitsgerüst gefährdet, ins Wanken zu geraten.

Genau das wäre aber der Sinn von Diskurs; er kann wohl nur gelingen, wenn einer skeptischen Grundhaltung, dem eigenständigen Hinterfragen (auch ohne einen Experten im Genick), dem einigermaßen souveränen Umgang mit der Welt und den Nachrichten darüber mehr Achtung entgegengebracht wird. 

Die Autorin

Martina Scheuringer hat in Wien Psychologie, Philosophie und Germanistik studiert und unterrichtet seit 14 Jahren an einem Linzer Gymnasium Deutsch und Psychologie und Philosophie.


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