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"Aheds Knie": Der Künstler als verstopfter Vulkan

Avshalom Pollak in "Aheds Knie" von Nadav Lapid.
Avshalom Pollak in "Aheds Knie" von Nadav Lapid.(c) Grandfilm
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In Nadav Lapids verfremdetem Selbstporträt „Aheds Knie“ wütet sein Alter Ego gegen Zensur, israelische Mentalität und sich selbst. Im „Presse“-Gespräch erklärt Lapid, warum.

Die Worte sprudeln aus dem Mann hervor, als wären sie von einer Magmakammer weit über den Siedepunkt erhitzt worden: „Jede Generation hier ist die schlimmste, und jede zeugt eine neue, schlimmer als sie selbst! Jeden Tag werden hier Monster geboren!“ Die Kamera hält drauf, ist viel zu nah dran, zittert wie Espenlaub über den wahnhaft hin und her schnellenden Augen des Berserkers.

Es ist ein Filmemacher, der sich in dieser Schlüsselszene aus Nadav Lapids „Aheds Knie“ in Rage redet. Unlängst wurde eine seiner Arbeiten bei den Filmfestspielen von Berlin akklamiert. Sein Verhältnis zu seinem Geburtsland Israel ist von inneren Zerwürfnissen geprägt. Einen Versuch, mit selbigen umzugehen, sehen wir zu Beginn des Films: ein Casting, bei dem Darstellerinnen für ein Projekt über Ahed Tamimi gesucht werden.

Ein Ruheloser sucht inneren Frieden

Die palästinensische Aktivistin wurde 2017 dabei gefilmt, wie sie israelische Soldaten ohrfeigte. Daraufhin wurde sie unter Mediengetöse temporär inhaftiert, ein Knesset-Abgeordneter wünschte ihr auf Twitter eine Kugel in die Kniescheibe. Der Regisseur lässt diesen Gewaltaufruf von einem Schauspieler wiederholen, erst auf Hebräisch, dann auf Deutsch, in pikiertem Stakkato. Eine Rollenanwärterin singt dazu die Guns-N'-Roses-Hymne „Welcome to the Jungle“. Allzu verkrampft, bemüht, verklausuliert wirkt das als Kommentar auf die Widersprüche einer zutiefst politisierten Gesellschaft. Da scheint die eingangs erwähnte Suada ehrlicher – aber kaum weniger hilflos. So wirft „Aheds Knie“ anhand seines getriebenen Protagonisten eine Frage auf, die weit über Israel hinaus brisant ist: Wie positioniert man sich als Künstler und als Mensch zu verworfenen Verhältnissen, von denen man nolens volens mitgeformt wurde, deren Spuren man in sich trägt? Wie findet man unter diesen Vorzeichen inneren Frieden?

Regisseur Nadav Lapid macht keinen Hehl daraus, dass die schlicht „Y“ genannte Hauptfigur seiner jüngsten Arbeit ein Alter Ego ist. Auch sein letzter Film, „Synonymes“, wurde in Berlin gefeiert, gewann dort 2019 den Goldenen Bären. Er handelte von einem jungen Israeli, der sich daran aufreibt, in Paris eine neue, französische Identität aus dem Boden zu stampfen. Das Resultat eines langen autobiografischen Schreibprozesses, wie Lapid im Gespräch mit der „Presse“ erzählt. Das Drehbuch für „Aheds Knie“, das in Cannes uraufgeführt wurde, sei hingegen in zwei Wochen entstanden. Eine kreative Eruption, befeuert von persönlichen Erfahrungen: „Ich wusste anfangs gar nicht, was für eine Art von Film das werden würde.“

Die Handlung ist zugespitzt. Lapid selbst hatte nie vor, einen Film über Tamimi zu drehen. „Ich scheue mich davor, Palästinenser in meinen Filmen abzubilden. Lieber wühle ich im kollektiven Bewusstsein Israels. Ich glaube, dass Palästina dort immer zum Vorschein kommt, selbst wenn es abwesend ist.“ Dennoch ist der Fall für ihn als Medienphänomen emblematisch: „Er zeigt, wie groß die Rolle der Ästhetik bei politischen Debatten ist. Während der Renaissance wäre Tamimi von alten Meistern zur Ikone stilisiert worden. Es geht bei diesen Dingen niemals nur um rationale Argumente, sondern um Existenzielles.“

Von Thomas Bernhard beeinflusst

Auch für Y. Seine nahezu präpotent kritische Haltung zur israelischen Mentalität sorgt für Wirbel, als er in ein Wüstenkaff an der jordanischen Grenze fliegt. Hier soll er in einer Bibliothek mit Ortsansässigen diskutieren. Die nette Kulturbeauftragte (Nur Fibak) setzt ihm ein Formular mit Themenvorgaben zur Unterschrift vor – eine Anspielung auf Zensurmaßnahmen, die Miri Regev, Ex-Kulturministerin Israels, während ihrer Amtszeit umzusetzen versuchte. Y reagiert wie der verstopfte Vulkan, der er ist. Letztlich trifft seine Wut aber vor allem ihn selbst.

Das innere Beben gießt Lapid in kraftvolle Bilder, die die Subjektivität des Antihelden spürbar machen. Oft nimmt die Kamera seinen Blickwinkel ein, schweift in Tagträume ab oder schlägt wilde Kapriolen, wenn er sich in der Wüste den Frust vom Leib tanzt.

Avshalom Pollak ist großartig als Zerrissener. „Mit seiner Zerbrechlichkeit hat er den Film gerettet“, meint Lapid. Als wichtigen Einfluss nennt der Autorenfilmer übrigens einen namhaften Selbstzerfleischer aus Österreich: „Ich hätte den Film Thomas Bernhard widmen sollen. Sein Werk bringt das Bedürfnis, die Wahrheit mit verzweifelter Genauigkeit zu fassen, ebenso auf den Punkt wie die Unfähigkeit, es zu tun.“

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