Tschetschenisches Terrornetz in Österreich?

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Heute beginnt der Prozess wegen des Mordes an Umar Israilow. Grüne und NGOs erheben nun neue Vorwürfe gegen Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow: Er unterhalte Attentätertrupps in Wien.

Wien/stög/gr. Bevor heute im Wiener Landesgericht der Prozess gegen die drei mutmaßlichen Mörder des Tschetschenen Umar Israilow startet, erhebt der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz schwere Vorwürfe gegen Tschtetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow. Für Pilz steht fest, dass Kadyrow den Auftrag gegeben hat, den abtrünnigen Israilow ermorden zu lassen. Der 27-Jährige war am 13. Jänner 2009 auf offener Straße in Wien Floridsdorf erschossen worden.

Dafür soll, so sagte Pilz am Montag, ein 30 Mann starkes terroristisches Netzwerk verantwortlich sein, das Kadyrow in ganz Österreich aufgebaut habe. Der Grüne hat am Montag verlangt, unverzüglich ein Strafverfahren gegen den tschetschenischen Präsidenten einzuleiten und einen internationalen Haftbefehl auszustellen.

„Wenn es eine kriminelle Organisation gibt, besteht sie nicht nur aus Exekutoren, sondern hat auch einen Kopf. Und der heißt Kadyrow“, sagt Pilz am Montag in einer vom Staatsschutz streng bewachten Pressekonferenz. „Obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) die Namen zahlreicher Extremisten kennt, seien diese bisher „fremdenpolizeilich nicht einmal beamtshandelt“ worden, urgierte Pilz.

Mehr noch: Das BVT habe einem Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB mehrere Wochen Zugang zu seinen Büros gewährt. Dabei soll der Mann, der seit 2005 in der russischen Botschaft residiert, auch Zugang zu Akten über oppositionelle Tschetschenen bekommen haben, die in Österreich Zuflucht gesucht hätten. Diese Daten hätten die Russen dann an das befreundete Regime Kadyrows in Tschetschenien weitergegeben – was zur Ermordung Israilows und zu anderen Anschlägen in Österreich geführt habe.

Anschlägen wie jenem auf Vaha Banjaev, einem weiteren tschetschenischen Oppositionellem im Exil, der gestern mit Pilz vor die Presse trat: Der 51-jährige Vorsitzende einer NGO, die sich mit dem Schutz von Folteropfern und politischen Gefangenen in Tschetschenien befasst, hat Anzeige erstattet, weil er im Oktober in Wien-Donaustadt zum Ziel mehrerer Mordanschläge geworden sei: Mehrmals sei er von Männern niedergeschlagen und -gestochen worden, einmal habe man sogar auf ihn geschossen – alles auf offener Straße.

BVT-Kontakt wieder beschuldigt

Brisant ist auch Banjaevs Feststellung, dass es sich bei einem der Attentäter um Kosum J. gehandelt habe – einen Verbindungsmann des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, gegen den die Staatsanwaltschaft auch wegen Beteiligung am Mordfall Israilow ermittelt hat.

Das Innenministerium wollte am Montag zu den Vorwürfen von Pilz, wonach es ein tschetschenisches Terrornetzwerk in Österreich gebe, nicht Stellung nehmen. „Wir haben nichts dazu zu sagen“, erklärte Ministeriumssprecher Rudolf Gollia der „Presse“. Alles sei bekanntlich gerichtsanhängig. „Das LVT Wien (Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Anm.) hat eine umfangreiche Anzeige gelegt, jetzt ist die Justiz am Zug, das zu bewerten“, sagte Gollia.

Im aktuellen Staatsschutzbericht (dieser wird von den Grünen ebenfalls heftig kritisiert) ist nichts von einem möglichen tschetschenischen Terrornetzwerk, das in Österreich agiere, zu lesen. Dort heißt es nur sehr allgemein: „Seit dem Mord sind mehrere Fälle von konkreten Bedrohungen gegen Tschetschenen bei den Sicherheitsbehörden bekannt geworden.“

Pilz: „Politik zu unterwürfig“

Pilz will den Fall Israilow jetzt im Nationalrat beleuchten, weil Justizministerin Claudia Bandion-Ortner und Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) im Umgang mit der russischen und tschetschenischen Regierung „eine große politische Unterwürfigkeit“ an den Tag gelegt hätten.

Auch Vertreter von Israilows Familie und NGOs machen die Politik für den Tod des Flüchtlings verantwortlich: Der Mord hätte verhindert werden können, wenn Israilow rechtzeitig Polizeischutz gewährt worden wäre, ist Nadja Lorenz, Anwältin der Familie Israilow, überzeugt. Das sei unterlassen worden, obwohl dem Verfassungsschutz bekannt gewesen sei, dass Israilow Gefahr drohe: Der Flüchtling hatte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Verfahren gegen Kadyrow wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte in die Wege geleitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16. November 2010)

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