Netrebko und "Fake News"

Mailands Opernchef Dominique Meyer sieht Fake News als Grund für Anna Netrebkos Rückzug.

Der Intendant der Mailänder Scala, Wiens Ex-Opernchef Dominique Meyer, zeichnet ein differenziertes Bild der Absagen und Rückzüge russischer Künstler von den internationalen Podien. "Ich bin erstaunt über all die falschen Dinge, die geschrieben wurden und nichts mit der Realität zu tun haben", sagt Meyer über die Absage Anna Netrebkos, die dieser Tage Cileas "Adriana Lecouvreur" an der Scala singen sollte. Sie wird durch Maria Agresta ersetzt.

In der internationalen Wahrnehmung musste der Eindruck entstehen, Netrebko hätte sich in einer Art Solidaritätsbekundung mit ihrem früheren Mentor Valery Gergiev zurückgezogen, der sich bis dato geweigert hat, Worte gegen den Krieg in der Ukraine zu finden.

Die Wahrheit über Netrebko

"Die Wahrheit ist, dass Netrebko am Sonntag ein wenig erkältet war und sich einem Covidtest unterzogen hat, der negativ war. Dies steht nicht im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, gegen den sie sich bereits ausgesprochen hat", so Dominique Meyer über Netrebkos Absage.

Die Distanzierung Netrebkos vom Angriff auf die Ukraine sei deutlich ausgefallen, so Meyer weiter: "Indem sie sich vom Krieg in der Ukraine distanziert hat, hat sich Netrebko vorbildlich verhalten." Doch seien in der Folge "unwahre Nachrichten" verbreitet worden, nicht zuletzt basierend auf den Nachsatz im Statement der Sängerin, in dem sie meinte, man dürfe niemanden zu politischen Aussagen gegen sein Heimatland zwingen.

Über die daraus resultierenden Presseberichte sei Anna Netrebko so wütend gewesen, dass sie beschloss, nicht aufzutreten. Die Diva sagte zunächst die Vorstellungen in Mailand ab, gab danach aber bekannt, vorderhand nirgends mehr auftreten zu wollen. Es sei "nicht die Zeit für mich, Musik zu machen und aufzutreten. Ich habe mich daher entschlossen, mich eine Zeitlang von Auftritten zurückzuziehen. Das war eine extrem schwierige Entscheidung für mich, aber ich weiß, mein Publikum wird diese Entscheidung verstehen und respektieren."

Dominique Meyer meinte, unter den gegebenen Umständen und auf Grund der verbreiteten Falschmeldungen sei es tatsächlich besser für das Teatro alla Scala, wenn Anne Netrebko derzeit nicht auftrete. Er persönlich sei "gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine und für das Recht der Völker, ihre Zukunft selbst zu bestimmen". Es sei jedoch falsch, ohne genaue Prüfung "schwarze Listen" von Künstlern zu erstellen.

Yusif Eyvazov singt in Mailand

Wohl in diesem Sinne kommt es in Mailand bei besagter Aufführung von "Adriana Lecouvreur" zu einer weiteren bemerkenswerten Umbesetzung: Der Tenor Freddie de Tommaso, der den Moritz von Sachsen singen sollte, wurde positiv auf Covid-19 getestet und muss daher absagen. Der Ersatz: Anna Netrebkos Ehemann, Yusif Eyvazov. De Tommaso hofft, in der zweiten Vorstellung der Serie bereits wieder genesen zu sein und auftreten zu können.

Was Valery Gergiev betrifft, betonte Meyer, er hätte dem Dirigenten  einen mit dem Bürgermeister von Mailand, Giuseppe Sala, abgestimmten Brief geschrieben, "in dem ich ihn nur gebeten habe, zu erklären, dass er gegen den Krieg ist". Dieser Brief war unbeantwortet geblieben.

Operndiven und der Krieg

Indes kam es in Neapel zu einer bemerkenswerten Versöhnungsgeste zwischen einer ukrainischen und einer russischen Sängerin: Nach der Aufführung von Verdis "Aida" am vergangenen Sonntag fielen einander die Darstellerinnen der Aida und der Amneris, Ludmyla Monastyrska und Jekaterina Gubanova unter dem Applaus und "Pace"-Rufen des Publikums in die Arme.

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