Geflüchtete

Rassismus-Vorwürfe gegen ukrainische Grenzbeamte

People flee from Ukraine because of Russian invasion, at the border checkpoint in Medyka
People flee from Ukraine because of Russian invasion, at the border checkpoint in MedykaREUTERS / YARA NARDI
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Immer mehr Studierende aus dem Ausland berichten über Misshandlungen, die ihnen beim Fluchtversuch widerfahren sind. Ukrainische Grenzbeamte sollen sie beschimpft und geschlagen haben.

„Der Grenzbeamte sah mir direkt in die Augen und sagte: 'Nur Ukrainer, das war's'", klagt eine Studentin namens Jessica gegenüber „BBC Africa“. Wenn man schwarz ist, müsse man verschwinden, soll ihr gesagt worden sein. Die Nigerianerin hatte versucht, dem Krieg in der Ukraine über die polnisch-ukrainische Grenze zu entfliehen.

Nach einem zwölfstündigen Fußmarsch kam ihre Flucht jedoch vorerst zu einem abrupten Ende. Auf der ukrainischen Seite der Grenze wurde sie abgewiesen. Sie habe gefleht und gebettelt, sogar eine Schwangerschaft vorgetäuscht und sei trotzdem nicht durchgelassen worden, berichtet die junge Frau. Mittlerweile hat sie in Ungarn Zuflucht gefunden, jedoch nur, weil sie einen direkten Zug aus der Ukraine genommen und diesen aus eigener Tasche gezahlt habe.

Jessica ist nicht die einzige schwarze Person, die an der ukrainischen Grenze Erfahrungen mit Rassismus machen musste. Immer mehr Berichte von Menschen mit dunkler Hautfarbe machen aktuell im Netz die Runde. Frau Mbagwu, eine nigerianische Ärztin, erzählt gegenüber der „New York Times“ ebenfalls von unmenschlicher Behandlung an der Grenze. „Sie haben gesagt, dass nur Frauen und Kinder durchgelassen werden, aber dann haben sie auch ukrainische Männer durchgewinkt“, berichtet die Betroffene. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise aus der Ukraine aber eigentlich nicht erlaubt, da sie notfalls die ukrainischen Truppen verstärken müssen. Wenn Frauen mit dunkler oder schwarzer Hautfarbe versucht haben, die Grenze zu überqueren, seien sie abgewiesen worden, sagt Frau Mbagwu. „Unsere Frauen zuerst“, soll es dann geheißen haben.

Misshandlungen mit teils schweren Verletzungen

Gegenüber der „BBC“ berichten ebenfalls mehrere Menschen mit Migrationshintergrund über eine unfaire Behandlung bei der Flucht aus der Ukraine. So erzählen etwa indische Studierende davon, dass sie von ukrainischen Grenzbeamten nicht nur beschimpft, sondern auch geschlagen worden sein. Während indische Mädchen und Frauen meist durchgewinkt wurden, hätten die Männer sich gezwungen gesehen, die Grenzbeamten auf den Knien anzuflehen. Sogar trotz dieses eindeutigen Zeichens der Unterwerfung, wären die ukrainischen Soldaten anschließend mit Knüppeln auf die Inder losgegangen.

Von einem besonders schlimmen Zwischenfall erzählt der indische Student Ijantkar. Er will beobachtet haben, wie die Grenzbeamten einen ägyptischen Mann gestoßen haben sollen. Der Mann soll durch die Wucht des Schlages zurückgeworfen worden und gegen einen Stacheldrahtzaun geprallt sein. Dem Bericht des Studenten zufolge dürften die Verletzungen des Ägypters so stark gewesen sein, dass dieser das Bewusstsein verloren hatte und reanimiert werden musste. Einzig die anderen Geflüchteten hätten sich um den Verletzten gekümmert. Die Grenzbeamten hätten ihn missachtet und sich weiter dem Andrang an Menschen gewidmet, sagt der Student.

Aber es gibt auch Berichte von dunkelhäutigen Personen, die gar keine Chance haben, zur Grenze zu gelangen. Videoaufnahmen wie diese zeigen, wie ihnen der Zutritt zu Zügen und Bussen, die Richtung Grenze fahren, verwehrt wird.

Die Ukraine als Studentenhochburg

Bei den abgewiesenen und misshandelten Geflüchteten handelt es sich nicht um Einzelfälle. Insbesondere die Gemeinschaft von schwarzen Studentinnen und Studenten ist in der Ukraine sehr groß. Unter anderem aus Nigeria, Afghanistan und Marokko kommen viele Menschen zum Studieren in das europäische Land. Wenige Beschränkungen bei beliebten Studienrichtungen wie Medizin und geringe Studien- und Lebenskosten sind Anreize für junge Menschen aus Afrika und Indien. Da viele von ihnen nur für ein paar Jahre in der Ukraine leben, behalten sie überwiegend ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft. Die Tatsache, dass sie keinen ukrainischen Pass vorweisen können, wird ihnen aber nun zum Verhängnis. Ukrainische Grenzbeamte nutzen diesen Umstand scheinbar für eine gezielte Selektion bei der Ausreise.

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Ukraine-conflict-unrest-UKRAINE-RUSSIA-POLAND-CONFLICT-SOCIAL-UNAPA/AFP/EMMANUEL DUPARCQ (EMMANUEL DUPARCQ)

„Afrikaner sind unsere Freunde"

Seitens der ukrainischen Regierung wurden die Vorwürfe zunächst abgestritten. Innenminister Anton Heraschenko sagte am Dienstag, man werde „alle Ausländer ungehindert freilassen”. Allerdings müsse man zuerst Frauen und Kinder aus dem Land bringen. Das gelte auch für Schwarze. Ein Sprecher der ukrainischen Grenzüberwachung, Andriy Demtschenko, wies die Vorwürfe am Dienstag gegenüber „CNN“ zurück. Die Berichte würden nicht stimmen. Zwar sei der Grenzschutz unter enormen Druck, man arbeite aber im Rahmen der Gesetze.  „Es gibt absolut keine Trennung nach Nation, Staatsangehörigkeit oder Klasse an der Grenze", sagte Demtschenko.

Am Mittwoch versprach dann der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, dass die Regierung das Problem lösen werde. „Afrikaner, die flüchten wollen, sind unsere Freunde und müssen die gleichen Möglichkeiten haben, sicher in ihre Heimatländer zurückzukehren.” Auf Flüchtende aus anderen Ländern wie Indien wurde nicht eingegangen.

Auch von polnischer Seite wollte man nichts von den Vorwürfen wissen. Ein Sprecher des polnischen Premierministers erklärte, dass die Ukraine alle Menschen über die Grenze lasse, unabhängig von ihrer Nationalität. Der polnische UN-Botschafter Krzysztof Szczerski bot ausländischen Studierenden in der Ukraine sogar an, dass sie ihr Studium in Polen fortsetzen könnten. Polen ist bisher für einen harten und oft kritisierten Kurs beim Thema Migration bekannt.

Nigeria versucht Staatsbürger nach Hause zu bringen 

Auch die nigerianische Regierung steht in der Kritik. Nigeria habe bisher zu wenig getan, um den gestrandeten Nigerianerinnen und Nigerianern in der Ukraine bzw. den Nachbarländern zu helfen, heißt es in den sozialen Medien. Der nigerianische Außenminister Geoffrey Onyeama gab unterdessen an, dass die ukrainischen Behörden ihm versichert hätten, dass es keinerlei Einschränkungen für ausländische Menschen gebe, die das Land verlassen wollen. Er habe gemeinsam mit den Außenstellen in der Ukraine, Polen, Russland, Rumänien und Ungarn sichergestellt, dass nigerianische Bürgerinnen und Bürger die Ukraine verlassen und nach Nigeria zurückkehren können. Nigerianerinnen und Nigerianern, die weiterhin im Land bleiben wollen, biete man Unterstützung an. Am Donnerstag gab er bekannt, dass das Außenministerium versuche, ein Flugzeug nach Budapest zu schicken, um nigerianische Bürgerinnen und Bürger abzuholen.

Auch beim UN-Sicherheitsrat am Montag war die Behandlung von afrikanischen Bürgerinnen und Bürgern an den ukrainischen Grenzen Thema. Der Sicherheitsrat fand klare Worte zu den Berichten von Diskriminierung ausländischer Personen: „Wir verurteilen diesen Rassismus aufs Schärfste und glauben, dass er dem Geist der Solidarität schadet, der heute so dringend notwendig ist”, sagte Kenias UN-Botschafter, Martin Kimani.

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