Expedition Europa

Zu Besuch bei russischen Propaganda-Medien

Selenskij hat sie verboten, doch sie senden immer noch. Und siehe da: Selbst die Journalisten von UKRlive haben sich jetzt in ukrainische Patrioten verwandelt.

Mitte Februar ging ich im friedlichen Kiew einem Thema nach, das mit Beginn des russischen Angriffskrieges plötzlich läppisch erschien: Pressefreiheit. Beginnend mit Anfang 2021, hatte Präsident Selenskij nach und nach sechs Fernsehsender der prorussischen Opposition und das einst viel gelesene Nachrichtenportal strana.ua verbieten lassen. Seit dem 24. Februar erfolgt die Nagelprobe: Kollaborieren diese Journalisten jetzt mit dem Feind? Da diese Medien außerhalb der Ukraine meist online zugänglich sind, kann ich das jetzt überprüfen.

Auch in der Ukraine kam es vor, dass ein Server ein gesperrtes Medium durchließ. So konnte ich in Tschernihiw – inzwischen eine der belagerten und bombardierten Großstädte – den Nachrichtensender UkrLive empfangen. Moderatoren und Studiogäste befragten mit vor Kriegsangst geweiteten Augen Nikolaj Asarow, den Premierminister des 2014 geflohenen Präsidenten Janukowitsch. Aus einem wohl in Russland befindlichen Biedermeier-Wohnzimmer zugeschaltet, betete Asarow wirtschaftliche Kennzahlen bis hin zum ukrainischen Import türkischer Gurken herunter. Der weißhaarige Technokrat wirkte wie in einer Zeitschleife gefangen, gleichgültig: „Und so weiter, und so weiter.“ Besonders bei strana.ua hatte ich das Pro-Russische über die Jahre nicht leicht ausmachen können. Seit dem russischen Proxy-Krieg in der Ostukraine traten Kreml-freundliche Narrative meist verdeckt auf, offene Lobpreisungen Putins waren kaum denkbar; auch bei UkrLive & Co. wurde meist auf Ukrainisch moderiert.

Da keines der verbotenen Medien auf meine Interview-Anfragen geantwortet hatte, ging ich zu ihnen hin. Strana.ua hatte seinen Sitz in einem niedrigen Kiewer Wohnhaus aus Klinker. Es war gleich zu sehen, dass dort schwerlich eine Redaktion hätte unterkommen können. Es gab einen Friseursalon, dessen Chefin mich sinnloserweise zu einem anderen Klinkerbau schickte: „Da fragt alle paar Wochen jemand, aber die lassen angeblich niemanden ein.“ Nur eine Bewohnerin konnte sich eine Redaktion auf ihrer Stiege vorstellen: „Neulich wurden aus einer Wohnung Drucker herausgetragen.“ Ein junger Servicetechniker, der im Klinkerbau wohnte, unterstützte aufopfernd meine Suche. Am Ende platzte aus ihm heraus, was er von strana.ua hielt: „Ich war Soldat. Und die machen alles in der Ukraine schlecht! Nach allem, was uns Russland angetan hat – wie kann man so etwas nur machen?“

UkrLive hatte seinen Sitz im „Office 1306“ eines spätsowjetischen Bürohochhauses. Selbst neugierig geworden, erlaubte mir der Portier hinaufzufahren. Im 13. Stock rannte eine Blondine mit rotem Kopf in ein Büro ohne Türschild, das war Office 1306. Ich läutete, eine englische Ansage, niemand kam raus. Ich betrat das spiegelbildliche Büro gegenüber, das ausgeräumt worden war: zwei winzige Kämmerchen, Dutzende Steckdosen, enge Regale. Von hier wurde wohl kaum ein Fernsehsender geführt.

„Diese Medien spielen im Diskurs der Ukraine keine Rolle“, sagte meine linksgrüne Kiewer Bekannte, „sie verbreiten Fakes, und es gibt in der Ukraine sicher wichtigere Themen als ihre Schließung.“ Ich flog nach Hause und verfolgte dort die gesperrten Medien. In den Tagen vor Kriegsbeginn fielen mir zwei, drei Dinge auf. So berichtete strana.ua, das weltweit publizierte Loch in der Wand eines Kindergartens im umkämpften Donbass-Städtchen Stanyzja Luhanska rühre von Beschuss aus ukrainisch kontrollierter Richtung her. Andere Medien, auch westliche, ließen diese Frage offen oder beschuldigten die Separatisten.

Den Abend des zweiten Kriegstages verbrachte ich auf UkrLive. Da hörte man ungläubiges Entsetzen über die Invasion, Lob für den „tapferen Präsidenten“ Selenskij, aber auch die Maxime, es sei die „Privatangelegenheit jedes Einzelnen“, ob er sich dem Angreifer entgegenstelle. Die Moderatorin betonte oft, dass „die Regierung unter den Bedingungen der Militärzensur nicht kritisiert werden darf“; auch so wurden der Nato-Kurs und die Ausgabe von Waffen an Kiewer Zivilisten kritisiert.

Oppositionspolitiker Nestor Schufrytsch, der formelle Eigentümer von UkrLive, drängte auf sofortige Friedensverhandlungen: „Wir glauben, das hier wird schon in wenigen Tagen Geschichte sein.“ Zugeschaltet wurde Olesja Medwedewa, die im Kriegsgebiet Donbass aufgewachsene Videobloggerin von strana.ua. Als Medwedewa im Bild war, erklang im Off ein heftiges weibliches Schluchzen. Es kam vielleicht von der sichtlich bewegten Moderatorin.

Spätestens ab dem vierten Kriegstag – als der russische Vormarsch stecken blieb – änderten sich die Botschaften. Auf UkrLive wurde fast nur noch Ukrainisch gesprochen, strana.ua begann Russland als „Okkupant“ und „Feind“ zu bezeichnen, und für den Beschuss der Charkiwer Regionalverwaltung wurde explizit Russland verantwortlich gemacht. Rückblickend erscheint mir die Sperre dieser Medien aus Gründen der nationalen Sicherheit argumentierbar. In der gegenwärtigen Lage wäre sie aber vielleicht gar nicht notwendig: Das nicht nur zunehmend verbrecherische, sondern auch unbegreiflich idiotische Vorgehen der russischen Armee hat sogar prorussische Journalisten in ukrainische Patrioten verwandelt.

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