In Moskau stehen Menschen in Apotheken Schlange, einige verlassen über Nacht das Land. Unabhängige Medien müssen schließen. Putin findet aber auch Zuspruch.
Geschichten des Jahres. Dieser Artikel ist am 4. März 2022.
Moskau. Anastasia Piwowarowa rennt. Schnell noch zu diesem Schrank und dann zu einem anderen. „Wie hieß das Medikament noch einmal? Ach ja, habe ich verstanden.“ Die Schlange vor ihr wird immer länger, die Frau an der Kasse rattert die Namen von Tabletten, Sirups, Salben herunter. Aus französischer, schwedischer, ungarischer Produktion. Herzmedikamente, Magentabletten, Päckchen mit Pulver. Anastasia Piwowarowa packt alles in ein Sackerl, reicht es der Frau in schwarzem Mantel und schwarzer Mütze vor ihr. „Der Nächste, bitte.“
In der Apotheke 36,6 im Moskauer Westen hört die Schlange seit zwei Tagen nicht auf, die Menschen, vor allem solche, die an chronischen Krankheiten leiden, geben teils ihre Monatsgehälter dafür aus, sich mit Medikamenten einzudecken. Anastasia Piwowarowa, die Apothekerin, sagt: „Unser Lager ist noch voll, aber wie lang noch?“ Nie in ihrem Arbeitsleben habe sie einen solchen Besucherstrom erlebt, sie mache keine Pause, arbeite mit ihrer Kollegin zehn Stunden durchgängig. Die junge Frau rät jedem an der Kasse vor ihr: „Wenn Sie regelmäßig Tabletten einnehmen müssen, kaufen Sie jetzt so viel wie möglich.“