Entwicklungsökonomie

Wie viel Käufermacht haben Staaten, Gemeinden und Spitäler?

Den politischen Willen dazu vorausgesetzt, können öffentliche Aufträge Arbeitsstandards im globalen Süden verbessern.

Smartphones, in denen Kinderarbeit steckt, Mode, die unter teilweise lebensgefährlichen Bedingungen in desolaten Fabriken entsteht, Chemierückstände aus der Sportartikelherstellung, die ganze Flüsse vergiften – die Liste der Skandale um die Güter, die innerhalb globaler Produktionsnetzwerke erzeugt werden, ist lang.

Aber welche konkreten Möglichkeiten gibt es innerhalb der EU, die Arbeits- und Umweltbedingungen in den Produktionsländern zu verbessern? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine deutsch-österreichische Forschungsgruppe in dem vom Wissenschaftsfonds FWF und der deutschen DFG geförderten Projekt „Labour-Governance in globalen Produktionsnetzwerken“. Im Zentrum steht der Bekleidungs- und Elektroniksektor.

Kaufen und regulieren

„Neben der nationalen Gesetzgebung in den Produktionsländern, die zentral ist, deren Wirksamkeit aber durch den Konkurrenzdruck beschränkt ist, gibt es auch private Standards von Firmen“, erklärt Cornelia Staritz vom Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Diese seien freiwillig und es gebe einen Interessenkonflikt. Nicht zuletzt, weil die einkaufenden Firmen gleichzeitig auch geringe Preise, schnelle Lieferzeiten und hohe Flexibilität verlangen. Studien zufolge bringen private Standards keine systematischen Verbesserungen. „Wir haben uns in dem Projekt zwei andere Mechanismen angeschaut, die darauf basieren, den Marktzugang zu regulieren: Nachhaltigkeitskapitel in Freihandelsabkommen und eine sozial und ökologisch verträgliche öffentliche Beschaffung.“

Als Produktionsland nahmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Vietnam – einen Staat, der stark auf Entwicklung über globale Produktionsnetzwerke setzt – in den Blick. Sie analysierten bestehende Gesetzestexte und -entwürfe, studierten Verhandlungen und führten Interviews mit Akteuren innerhalb der EU sowie auf nationalstaatlicher Ebene. Mit folgendem Resümee: Weil die EU, die Staaten, die Gemeinden und Institutionen wie Unis und Spitäler auch Käufer sind, haben sie die Möglichkeit, direkt in Beschaffungsverträgen gewisse Standards einzufordern. Diese Käufermacht sei jedoch eingeschränkt. Staritz: „In vielen Ländern ist die öffentliche Beschaffung fragmentiert. Es gibt föderalistische Strukturen und Auslagerungen an einzelne Institutionen. Das mindert die Volumina, die am globalen Markt eingekauft werden, und somit auch die Käufermacht.“ Gefragt sei weiters regulatorische Macht.

Beschaffung koordinieren

Auf legislativer Seite ist eine EU-Direktive von 2014 hilfreich, die es ermöglicht, ökologische und soziale Kriterien stärker in die öffentliche Beschaffung zu integrieren. Doch nicht alle EU-Staaten hätten bei der Umwandlung der Direktive in nationale Gesetze, alle Möglichkeiten ausgeschöpft, so Staritz. Auf institutioneller Ebene brauche es zudem Unterstützung für Gemeinden und Co., um die Umsetzung der geforderten Standards sicherzustellen. „Es können ja nicht Vertreterinnen und Vertreter einzelner Institutionen selbst nach Vietnam fahren und Inspektionen durchführen.“ Ebenfalls relevant sei die Rolle von Gerichten im Fall von Klagen sowie der innerstaatliche und öffentliche Diskurs. Der letzte Punkt bezieht sich auf die strategischen Überlegungen hinter der öffentlichen Beschaffung und inwiefern diese auch soziale und ökologische Aspekte auf globaler Ebene inkludieren.

Den bisherigen Einsatz von Freihandelsabkommen zur Verbesserung von Standards sieht Staritz kritisch. „Die EU setzt auf Kooperation und Dialog, das ist wichtig. Aber es gibt eine Schieflage“, betont sie. „Menschenrechte, Arbeits- und Umweltstandards sind nicht mit den kommerziellen Kapiteln gleichgesetzt. Bei Verstößen gibt es keine Sanktionen.“ Sie plädiert auch dafür, lokale Arbeitskämpfe durch Freihandelsabkommen zu unterstützen. „In manchen Ländern geht es um grundlegende Menschenrechte wie keine Zwangs- und Kinderarbeit, Nicht-diskriminierung. Anderswo sind hingegen höhere Löhne relevant.“ Nur wenn der lokale Kontext sowie lokale Akteure und Kämpfe Eingang in die Nachhaltigkeitskapitel finden, können die darin formulierten Forderungen auch greifen.

Und wie schaut es in Österreich aus? „Was ökologische Kriterien bzw. eine grüne Beschaffung angeht, steht Österreich nicht so schlecht da“, meint Staritz. „Soziale Standards sind hingegen nur punktuell vertreten, vor allem im Kontext von globalen Produktionsnetzwerken.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2022)

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