Leitartikel

Vorspeise Krim, Hauptgang Ukraine, und Österreich?

Unter Beschuss werden Bewohner von Irpin bei Kiew am Samstag in Sicherheit gebracht.
Unter Beschuss werden Bewohner von Irpin bei Kiew am Samstag in Sicherheit gebracht.APA/AFP/ARIS MESSINIS
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Warnungen vor einem russischen Angriffskrieg gab es genug. Nun haben es Olaf Scholz und Co. in der Hand, die militärische Führung Europas zu übernehmen. Österreich sollte zumindest dafür zahlen.

Einer der klügsten Staatsmänner Europas sprach 2014 bei einem Auftritt bei einem Symposium der oberösterreichischen Denkfabrik Academia Superior von Zäsur und Gefahr. Karel Schwarzenberg redete vom Ende der Friedensepoche: „Ich kann Ihnen garantieren, dass einem Rechtsbruch der nächste auf dem Fuße folgt. Wir beobachten soeben, wie die Krim als Vorspeise eingenommen wird. Ich fürchte, wir werden noch eine georgische Suppe und vielleicht eine ukrainische Hauptspeise beobachten. Mit dem Essen kommt der Appetit.“ Europa war gewarnt. Seit 2014 radikalisierte sich Putin und ließ seine gewaltige Propaganda-Maschinerie eine Heim-ins-Reich-Kampagne gegen die unabhängige Ukraine fahren.

Was tat der Westen? Nichts bis wenig. In den USA suchte Donald Trump sowohl Männerfreundschaft als auch Auseinandersetzung. Sein Nachfolger, Joe Biden, erkannte die Rückkehr des Kalten Krieges. Auch wenn er sich militärisch aus berechtigter Furcht vor einem Nuklearkrieg in der Ukraine zurückhalten wird, spätestens mit seiner exzellenten „State of the Union“-Brandrede gegen Putin war klar: Der alte Mann mag sleepy wirken, er ist immer noch Leader of the free World. Und Europa? Olaf Scholz sieht die Gefahr für Ost- und Mitteleuropa und warf als gnadenloser Pragmatiker gleich mehrere deutsche Dogmen über Bord: Waffen werden geliefert und die Energiewende wird verschoben oder zumindest verändert. Emmanuel Macron gibt den diplomatischen Duracell-Hasen, Boris Johnson spricht seine Warnungen zumindest so aus, dass sie Putin sicher versteht. Sie alle inklusive Merkel haben Putin unterschätzt und Drohungen ignoriert. Europa dachte, Putin ticke wie der Westen: Die Wirtschaft sei immer wichtiger als militärische Macht. Was für ein Irrtum.

Made im Nato-Speck. Österreich hat Putin nicht nur in Gestalt der traurigen Außenministerin hofiert. Das Risiko war und ist überschaubar: Im Idealfall profitierten wir mehr als andere von den guten Geschäften, im Worst Case verlassen wir uns kostenlos auf die Nato-Nachbarn. Als angeblich neutrale Made im Nato-Speck tragen wir exakt null Risiko, die moralische Entrüstung als edle Ersatzpose lernt jeder Politiker im ersten Praktikum seiner Partei. Ja, Karl Nehammer trifft den richtigen Ton als Kanzler. Ja, es ist gut, wenn wir künftig mehr in die Verteidigung investieren. Doch das reicht nicht. So wie Europa (wieder) eine klare politische und militärische Führung benötigt, braucht Österreich Klarheit: Die Rosinen- bzw. Gummi-Neutralität ist unverschämt, feig und peinlich – nicht nur zumal sie vom russischen Außenressort ohnehin nicht mehr ernst genommen und scharf kritisiert wird.

Die Neos sprechen hier als einzige Partei Klartext. Aber auch ihre Idee, eine neue EU-Sicherheitsorganisation zu schaffen, ist unrealistisch: Neben der nationalen und der Nato-Militärstruktur wird kein Land eine dritte aufbauen können. Österreich muss endlich diskutieren, ob es auch eine Verantwortung auf dem Kontinent hat. Verneinen wir das und bleiben neutral, sollten wir Ausgleichszahlungen an die Nato oder die Nachbarstaaten für unsere Sicherheit tätigen. Oder wir treten endlich der Nato bei und erkennen, dass wir weder die Schweiz noch ein Freund dieses Russland sein können.

rainer.nowak@diepresse.com

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