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Russisches Geld in Österreich

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Russen in Österreich, das ist eine schwierige und klischeebehaftete Beziehung. Rasch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs tauchten die ersten Geschäftsleute aus Russland auf. Heute ist Russland nach Deutschland zweitgrößter Direktinvestor in Österreich.

Die Russen in Österreich – das ist in der dynamischen Veränderung der vergangenen 30 Jahre auch ein Spiegel der russischen, sprich postsowjetischen Geschichte. Schon in den 1990er-Jahren, bald nach der Wende, begannen sie aufzutauchen. Dass unter anderem recht bald die Mafia hier aufschlug, lag auch daran, dass sie den Boden als relativ ruhiges Rückzugsgebiet schätzte.

1994 hatte der große Boss Vjatscheslav Ivankov, genannt „Japontschik“ (der Japaner), 30 Spitzen der Untergrundhierarchie in ein Wiener Luxushotel geladen, wo sie „den Osten wie den Westen endgültig untereinander aufteilten“, wie der deutsche Mafiaexperte Jürgen Roth später schrieb. Verbindungsmann in Wien war der hier lebende Geschäftsmann Boris Kandov, der – so schrieb es der ehemalige österreichische Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Michael Sika, in seinem Buch „Mein Protokoll“ – dabei beobachtet wurde, „wie er mit den Russen Banken aufsuchte und ihnen in Wien anscheinend alle Wege ebnete.“

Es entwickelten sich parallel dazu aber auch viele seriöse Geschäfte, wenn auch teils von Abkömmlingen des russischen Geheimdienstes KGB. Der größte Kopf dieser Zeit war wohl Andrej Akimov, der schon vor der Wende nach Wien gekommen war, hier die sowjetische Auslandsbank Donau-Bank leitete und dann die auf Handelsfinanzierung spezialisierte Firma Imag aufbaute.

Schon sehr früh holte er sich Alexandr Medwedjew ins Boot. Beide machten Wien zur Wahlheimat und hatten immer auch ihre Familien hier wohnen. Und beide bauten sie de facto das Netzwerk des Gazprom-Konzerns in der österreichischen Hauptstadt auf, das später auch zur langjährigen Kooperation im Gashandel mit dem inzwischen in Wien festsitzenden ukrainischen Oligarchen Dmitro Firtasch führte. Sonnyboy Medwedjew wurde später für lange Zeit übermächtiger Chef des Gazprom-Exportgeschäfts und Vizechef des gesamten Gazprom-Konzerns. Der heute 68-jährige Akimov übernahm die Gazprombank, Russlands drittgrößte Bank. Seit 2018 steht er auf der Sanktionsliste der USA.

21,4 Mrd. Euro Investitionen

Aber welche Bedeutung haben die russischen Aktivitäten in Österreich heute für die heimische Volkswirtschaft?

Auskunft darüber gibt die Statistik über die sogenannten passiven Direktinvestitionen (FDI) der Oesterreichischen Nationalbank. Und da zeigt sich, dass Russland bis Mitte der 2000er-Jahre nur eine untergeordnete Rolle als Herkunftsland von Investitionen spielte. Mit beschaulichen 412 Millionen Euro machten die russischen FDI im Jahr 2006 lediglich einen Bruchteil des damaligen Gesamtvolumens von fast 83 Milliarden Euro aus. Das änderte sich schnell. Bereits 2013 hatten russische Investoren über zehn Mrd. Euro in Österreich investiert und 2020 lag Russland mit 21,4 Mrd. Euro bestehenden FDI bereits an zweiter Stelle hinter Deutschland (49 Mrd. Euro) und deutlich vor der drittplatzierten Schweiz (12,6 Mrd. Euro).

„Die Direktinvestitionen aus Russland haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Vor allem seit der Krise von 2014 gab es eine spürbare Steigerung“, sagt dazu Wifo-Ökonomin Elisabeth Christen. Dies dürfte vornehmlich mit den damals bereits eingeführten westlichen Sanktionen zusammenhängen, so Christen.

»»Direktinvestitionen aus Russland haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. «

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Elisabeth Christen, Ökonomin Wifo

„Es war schwieriger, aus Russland direkt Geschäfte zu machen. Daher wurde vielfach versucht, mit Europazentralen im Westen die Verschlechterung der Handelsbeziehungen auszugleichen“, so Christen. Beispiele dafür sind die – inzwischen von der FMA geschlossene – Sberbank Europe, die viele Firmenkunden hatte, aber auch Investitionen von Gazprom oder Lukoil in Österreich.

Die größten Spieler am österreichischen Markt sind laut dem russischen Außenministerium die Sberbank, Gazprom, Gazpromneft und Lukoil, die seit dem Vorjahr ihr Büro auf dem Wiener Schwarzenbergplatz umbaut. Weniger bekannt ist der Methanolproduzent Metafrax, der im Jahr 2013 ein Chemieunternehmen im niederösterreichischen Krems gekauft hat.

Es gibt also kaum Überraschungen bei den großen Investments aus Russland, wie Mario Holzner, Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (Wiiw) einräumt. „Die gesamte russische Wirtschaft ist nicht gerade von mittelständischen Unternehmen geprägt, sondern von Oligopolen im besten Fall oder Monopolen, die dem Energiebereich oder dem militärischen Komplex zuzuordnen sind“, analysiert er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Einer der großen russischen Player in Österreich, die Sberbank, ist bereits wieder Geschichte: Wie berichtet, hat die österreichische Finanzmarktaufsicht der in Wien ansässigen Europa-Tochter der Bank das Geschäft abgedreht, die Einlagensicherung muss einspringen. Die Sberbank Europe steht mit einem Eigenkapital von laut Geschäftsbericht rund 1,5 Mrd. Euro für einen beachtlichen Teil der russischen Direktinvestitionen in Österreich. Wobei sie in Österreich lediglich gut 100 Unternehmen als Kunden hat und kein Privatkundengeschäft – Privatkunden hat sie über eine Direktbank-Tochter ausschließlich in Deutschland.

500 russische Firmen in Österreich

Natürlich entfallen die russischen Direktinvestitionen nicht nur auf diese großen und oft auch staatsnahen Unternehmen. In Summe sind es rund 500 Firmen, die in Österreich Investitionen getätigt haben (private Immobilieninvestitionen werden nicht als FDI gezählt). Dennoch dürfte sich der überwiegende Teil aus wenigen sehr großen Investitionen ergeben.

Dafür spricht einerseits, dass die OeNB auf Anfrage der „Presse am Sonntag“ aus Vertraulichkeitsgründen keine näheren Angaben über die Verteilung der FDI auf einzelne Branchen geben kann. Das ist dann der Fall, wenn es nur wenige Investments in den Branchen gibt oder einzelne davon für 80 Prozent des gesamten Volumens stehen. Ein anderes Indiz ist die Zahl der Arbeitsplätze, die durch die russischen FDI in Österreich geschaffen wurden. Während deutsche Investitionen mit 49 Milliarden Euro knapp 118.000 Jobs und Schweizer mit 12,6 Milliarden Euro fast 29.000 Jobs geschaffen haben, sind es bei den russischen Investitionen mit einem Investment von 21,4 Milliarden Euro nur 537 Arbeitsplätze, die in Österreich direkt erzeugt wurden.

Es handle sich nämlich so gut wie nie um Produktionsniederlassungen, sondern vor allem um Beteiligungen an Banken oder petrochemischen Unternehmen, sagt Wifo-Ökonomin Christen. Daher wäre auch ein möglicher Abzug von russischen FDI für Österreichs Volkswirtschaft nicht so folgenreich wie in anderen Ländern. „Es ist fraglich, ob nun überhaupt die gesamten Direktinvestitionen auf dem Spiel stehen“, sagt Christen. Die möglichen Einbußen beim Export österreichischer Waren oder durch die Beteiligungen heimischer Firmen in Russland seien jedoch viel größer.

Auch auf dem heimischen Immobilienmarkt wird sich das Ausbleiben russischer Kunden bemerkbar machen. Russen interessieren sich in Österreich vorzugsweise für Luxus-Immobilien. 25 Prozent der Nachfrage im Luxussegment käme von Russen, sagt Karina Schunker von EHL Immobilien. „Es ist kein Geheimnis, dass russische Kunden über gutes Eigenkapital verfügen“, sagt Schunker. Meistens würde für den Eigenbedarf gekauft, oft seien es Zweitwohnsitze. In Wien seien für russische Kunden vor allem innerstädtische Objekte interessant. „Alles nahe dem ersten Bezirk ist besonders gefragt.“

Schon seit der Pandemie sei die Nachfrage russischer Kunden rückläufig, nun habe sich die Situation noch einmal zugespitzt aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten, die sich durch die Sanktionen ergeben. „Da rechnen wir auf jeden Fall mit einem Rückgang des Kundeninteresses“, sagt Schunker.

Ruhestand in Österreich

Doch Österreich ist nicht nur ein Ort, wo Russen gern Geschäfte machen. Es gab und gibt auch die, die sich im Ruhestand hierher zurückzogen. Alexander Smolenski etwa, einer der sieben berühmten Oligarchen, die unter Wladimir Putins Vorgänger Boris Jelzin wirtschaftlich groß geworden waren und damals tatsächlich Einfluss im Kreml hatten. Jelzins Tochter Tatjana und ihr Mann Valentin Jumaschew wiederum, die Ende der 1990er-Jahre Russland lenkten, weil Jelzin aufgrund seiner Trunksucht nicht mehr dazu in der Lage war, und die später das Ruder gegen Zusicherung der Straffreiheit an Wladimir Putin übergaben, erhielten 2009 sogar die österreichische Staatsbürgerschaft.

Lobbyiert wurde dies vom Magna-Konzern, wie das Wochenmagazin „News“ 2013 unter Berufung auf ein Ministerratsprotokoll berichtete. Das verwundert weiter nicht: Schließlich heuerte der ehemalige Magna-Manager Siegfried Wolf beim russischen Multimilliardär Oleg Deripaska an. Und Deripaska, auch Großaktionär beim Baukonzern Strabag und Hotelbesitzer am Arlberg, war lange Zeit Schwiegersohn von Tatjana Jumaschewa. Später landete der Aluminiummagnat wegen Einmischung in den US-Wahlkampf 2016 auf der Sanktionsliste der USA.

Urlaub in Österreich

Hatte es sich das russische Establishment über die Jahre immer schon gut im Westen – und eben auch in Österreich – eingerichtet, so kam die beizeiten entstandene Mittelschicht erst später mit dem Rohstoffboom Mitte der Nullerjahre nach. Mehrere Skiurlaube und Städtetrips im Jahr wurden en vogue. Das Geld saß locker, der Culture Clash mit Touristen aus anderen europäischen Staaten war nicht zu vermeiden. Russische Gäste waren anfangs wegen ihres etwas herben Umgangstons vielerorts mehr gelitten als geliebt. Doch der Anpassungsprozess ging recht schnell vonstatten. Heute erkenne man russische Gäste nicht mehr an den Umgangsformen, sondern an ihrer nach wie vor großen Liebe zu Statussymbolen. Russen sind in Österreichs Tourismusbetrieben längst gern gesehen, denn wenn sie kommen, dann mit vollen Taschen. Mit 1,2 Millionen Nächtigungen lagen Russen 2019, vor der Pandemie, auf Platz 14 im Ranking der Auslandsmärkte. Allerdings sind sie „wertschöpfungsstarke Gäste“, wie Claudia Riebler, Sprecherin der Österreich Werbung, sagt. Sie bleiben durchschnittlich 6,4 Nächte in Österreich und geben pro Tag und Kopf 222 Euro aus. Zum Vergleich: Deutsche lassen pro Tag 158 Euro im Land.

21,4

537

In Zahlen

Milliarden Euro betrugen die bestehenden Direktinvestitionen russischer Unternehmen in Österreich laut den Daten der OeNB im Jahr 2020. Damit liegt Russland auf dem zweiten Platz nach Deutschland (49 Mrd. Euro) und deutlich vor der drittplatzierten Schweiz (12,6 Mrd. Euro).

Arbeitsplätze wurden in Österreich mit den 21,4 Mrd. Euro an russischen Investitionen direkt erzeugt. Die deutschen Investitionen stehen für 118.000 Jobs, die Schweizer Investitionen für 29.000 Jobs.

Knapp zwei Drittel der russischen Urlauber kommen im Winter, und am liebsten bleiben sie in Wien, Sölden und Mayrhofen. Im Sommer sind sie bevorzugt in Wien, Salzburg und Baden, sagt Riebler. Wien verzeichnete 2019 17,6 Millionen Übernachtungen, davon entfielen 3,2 Prozent auf russiche Gäste.

In der Pandemie ist die Nachfrage russischer Gäste nach Urlaub in Österreich praktisch zum Erliegen gekommen. Bei allen ausländischen Nächtigungen verzeichnete das Wifo ein Minus von 56 Prozent, bei russischen Nächtigungen gab es von 2019 auf 2021 einen Rückgang um 92 Prozent. Riebler führt dies vor allem auf Einreisebeschränkungen in der Pandemie zurück und darauf, dass der russische Coronaimpfstoff Sputnik in der EU nicht anerkannt wird. Die russische Invasion in die Ukraine wirkt sich nicht nur auf Gäste aus Russland und der Ukraine aus. Viel schwerer würden die indirekten Effekte des Krieges wirken, sagt Oliver Fritz, Ökonom und Tourismusforscher am Wifo: steigende Preise mit sinkender Kaufkraft in vielen europäischen Ländern, die für Österreichs Tourismus wichtig seien. Und dann sei da noch die psychologische Komponente: „Vor allem Nordamerikaner sehen Europa als Kriegsschauplatz“, sagt Fritz.

Investment gegen Staatsbürgerschaft.Die russischen Europatouristen sorgten vor allem auch für einen Transfer westlicher Gepflogenheiten und Kultur nach Russland. Genauso wie es im Geschäftsleben die westlichen Firmen in Russland und westliche Aufsichtsräte, die heute angesichts des Ukraine-Krieges unterschiedslos und in einer unwissenden Hybris als moralisch verkommen verdammt werden, in russischen Konzernen taten. Manche russische Unternehmen bauten eine Firma auch in Österreich auf – mitunter um leichter zu einer Staatsbürgerschaft zu kommen, mitunter aber auch aus reinem geschäftlichen Interesse.

Es ist letztlich auch die Folge jahrelanger Beziehungspflege, dass heute etwa die Kunstmesse Viennacontemporary in den Händen eines Russen liegt und dass etwa Russlands zweitgrößter und privater Ölkonzern Lukoil, der sich soeben für ein Ende des Krieges ausgesprochen hat und in dem Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel seit 2019 im Aufsichtsrat sitzt, seine internationalen Aktivitäten in Wien gebündelt hat.

Schon seit den 1990er-Jahren sei es „dort angenehm zu arbeiten“ gewesen, sagte Lukoil-Chef Wagit Alekperow vor einigen Jahren im Interview mit der „Presse“. Und bis heute ist „Österreichs Gesetzgebung dafür förderlich“.

Ex-Kanzler Schüssel hat inzwischen angekündigt, seine Tätigkeit im Aufsichtsrat von Lukoil zu beenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2022)

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