Ein Überblick über die Streaming-Welle unehrlicher Antihelden. Und ein Empfehlungskatalog mit ihren Ahnen.
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Der Tinder- Schwindler
Ein berühmter "Romance Scam"
Zu sehen auf Netflix
Der Enkeltrick ist nichts gegen das, was der Israeli Shimon Ha yut jahrelang abzog: Er machte per Dating-App Frauen den Hof, die nach Liebe suchten, lud sie in Luxushotels ein und ließ sie glauben, er sei ein viel beschäftigter Milliardärssohn. Von den derart bezirzten und emotional völlig manipulierten Frauen lieh er sich dann Geld, das diese eigentlich nicht hatten. Um sich seinen Jetset-Lifestyle zu finanzieren, mit dem er wiederum den nächsten Frauen vorgaukelte, er sei ein begehrenswerter, kreditwürdiger Mann. Zehn Millionen Euro soll er so erbeutet und verprasst haben. Die Netflix-Doku "Der Tinder-Schwindler" erzählt das aus der Perspektive einiger Opfer und eines Journalistenteams.
Von solchen spektakulären Betrügergeschichten kann das von True Crime begeisterte Streamingpublikum offenbar nicht genug kriegen, wie viele jüngere und anstehende Produktionen zeigen. Etwa die Serie "Inventing Anna" (Netflix), "Bad Vegan" (ab 16. 3. auf Netflix, über eine Cele brity-Köchin auf abstrusen Abwegen) oder die Serie "The Dropout" über die Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes (ab 20. 4., Disney+). Der Tinder-Schwindler weiß übrigens immer noch aus seiner Hochstapelei Profit zu schlagen. Nur auf Tinder ist er jetzt gesperrt . . . (kanu)
Catch Me If You Can
Betrug aus Liebe zur Fiktion Zu sehen auf Amazon
Drei Männer treten in einer TV-Show auf. Eine Kandidatin muss herausfinden, wer von ihnen der echte Frank Abagnale ist, der es in den 1960er-Jahren zum besten Scheckfälscher und Hochstapler der Welt brachte - bis ein FBI-Bürokrat (trocken: Tom Hanks) ihn schnappte. Ob der Erzähler (verschmitzt: Leonardo DiCaprio) der Geschichte der gesuchte Schwindler ist, bleibt ungeklärt. Nicht nur die Gutgläubigkeit seiner Opfer, auch das blinde Vertrauen des Publikums in eine Fiktion, die ihm ein Eskapist auftischt, der sich für seine Maskeraden von der naiven Unterhaltungskultur seiner Zeit inspirieren lässt, wird in dem aberwitzigen Schelmenstück von Kino-Illusionist Steven Spielberg hintersinnig persifliert. (mt)
Can You Ever Forgive Me?
Mitgefühl mit einer Fälscherin
Zu sehen auf Disney+
Marielle Hellers Spielfilmporträt der Betrügerin Lee Israel, einnehmend verkörpert von der Komikerin Melissa McCarthy, bemüht sich von Anfang an um Empathie für seine alkoholkranke Hauptfigur. Die Welt will sie nicht, also gibt sie der Welt, was sie will: Pikante Details aus dem Leben verblichener Prominenter, monetarisiert über fingierte Briefe. Die relative Harmlosigkeit des Verbrechens hilft dabei, Israels Hochstaplergeschichte in eine Ode an talentierte Verlierer zu verwandeln. (and)
Spellbound
Wer ist der Mann von nebenan?
Zu sehen auf Amazon
Lang bevor Filme wie "The Woman in the Window" (Netflix) unsere Alltagsparanoia überhöhten, sprach Alfred Hitchcock in Sachen Skepsis das letzte Wort. Viele seiner berühmtesten Arbeiten gründen auf dem sprichwörtlichen "Shadow of a Doubt" (zum Leih und Kauf bei diversen Anbietern), den der Suspense-Meister selbst über die unverfänglichsten Dinge zu werfen vermochte. Niemand ist bei ihm über Misstrauen erhaben: Nachbarn, Freunde, Partner, Eltern, Geschwister und Arbeitskollegen - sie alle könnten etwas Schreckliches im Schilde führen, ihr wahres Gesicht hinter falschen Fassaden verbergen. Vorbildlich wird in Filmen wie Spellbound (Amazon) in Schwebe gehalten, ob dieser Argwohn berechtigt ist oder nicht. Das lässt sich auch variieren: Ein Clou der erfolgreichen Serie "You - Du wirst mich lieben" (Netflix) ist, dass sie ihre Geschichte aus dem Blickwinkel des Hochstaplers erzählt, der an der Unwahrheit seiner eigenen Lügen zu zweifeln beginnt. (and)
Nur die Sonne war Zeuge
Gestatten: Mr. Ripley, Blender
Zu sehen auf Sky
Patricia Highsmiths Romanfigur Tom Ripley zählt zu den beliebtesten Antihelden des Krimi-Genres. Immer wieder schlüpften prominente Darsteller in die Rolle des charmant unsympathischen Hochstaplers: Dennis Hopper, John Malkovich, Matt Damon. Und, nicht zuletzt, Alain Delon - in René Cléments lichtdurchflutetem Film noir "Nur die Sonne war Zeuge". Hier wurde die künftige Ikone unterkühlter französischer Männlichkeit im Golf von Neapel aus der Taufe gehoben. (and)
Working Girl
Fake it till you make it
Zu sehen auf Disney+
Die Kehrseite des sogenannten Hochstapler-Syndroms ist Hochstapler-Chuzpe: der Wille, sich stets über Wert zu verkaufen, bis dieser Wert sich von selbst dem nach außen getragenen Bild anpasst. Ein Grundprinzip von zügellosem Unternehmertum, das in Mike Nichols "Working Girl" feministisch aufgeputzt wird. Eine ehrgeizige Sekretärin (Melanie Griffith) wirft sich hier in falsche Macher-Schale, um ihrem chauvinistischen Umfeld zu zeigen, wo der Hammer hängt. (and)