Morgenglosse

Der Kriegsheld und der "Kriegsgewinnler"

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Wolodymyr Selenskij schwört die Weltgemeinschaft effektvoll auf die ukrainische Seite ein. Boris Johnson spendet ihm Applaus. Der britische Premier ist ein „Kriegsgewinnler“. Vom Partygate-Skandal spricht in London niemand mehr.

Das kommt im britischen Parlament nur alle heiligen Zeiten vor. Oder besser in „unheiligen Zeiten“, in Kriegszeiten, in denen es um Wohl und Wehe der Nation geht – um „Sein oder Nicht-Sein“, wie dies Wolodymyr Selenskij, der gelernte Schauspieler, in seiner Rede in Westminister in unnachahmlicher Manier auf den Punkt gebracht hat.

Ein Hamlet, ein Zauderer, ist der ukrainische Präsident indes beileibe nicht. Unermüdlich nutzt er sein Talent, um die Weltgemeinschaft mit effektvollen Auftritten auf die Seite der Ukraine einzuschwören. Die Abgeordneten in den dicht besetzten Reihen des britischen Unterhauses spendeten dem Kriegspräsidenten und Helden stehende Ovationen, als wäre der 44-Jährige die Reinkarnation von Winston Churchill.

Der bullige Staatsmann hatte das Königreich mit „Blut, Schweiß und Tränen“-Reden durch den Zweiten Weltkrieg geführt. In seiner Videoschaltung nach London spielte Selenskij geschickt auf das Jahr 1939 und den Überfall auf Polen an, der den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte.

Boris Johnson: „Ich bin ein Ukrainer"

Der erste, der ihm applaudierte, war ein gelehriger Churchill-Schüler in der ersten Reihe, der Selenskij nicht nachsteht. In seiner Antwort wandelte Boris Johnson das Kennedy-Zitat ab: „Ich bin ein Ukrainer.“ Der britische Premier versteht sich wie kaum ein zweiter auf Pointen und Rhetorik.

Im Ukraine-Krieg steht seine Regierung ganz vorn an der Anti-Putin-Front. Lieferung von Kriegsgerät, Sanktionen gegen die Oligarchen in „Londongrad“, ein Stopp des Öl-Imports aus Russland – Johnson bietet fast das ganze Programm seines Arsenals auf. Und zog auch gleich einen Vergleich mit dem Friedensschluss von Jalta 1945 und der Aufteilung der Welt. Nur mit der praktischen Solidarität hapert es noch ein wenig: Bis dato hat London erst 500 Visa für ukrainische Flüchtlinge ausgestellt.

Johnson ist gewissermaßen einer der „Kriegsgewinnler“. Vom Partygate-Skandal in der Downing Street, der den Premier beinahe zu Sturz gebracht hätte, und von einer Palastrevolte der Tories redet in London keiner mehr. Der Krieg hat das politische Schicksal Boris Johnson fürs Erste gewendet.

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