Tschetschenenmord: Auftrag von Kadyrow 'naheliegend'

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Mordauftrag Kadyrow ndash bdquoNaheliegendldquo(c) REUTERS (HERWIG PRAMMER)
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Wegen Beteiligung an der Ermordung des tschetschenischen Flüchtlings Umar Israilow stehen derzeit drei Landsleute des Opfers in Wien vor Gericht. Als Drahtzieher gilt Präsident Ramsan Kadyrow.

Wien. Hätten Innenministerium und Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) den Mitte 2008 – sogar schriftlich – eingebrachten Hilferuf des Tschetschenen Umar Israilow ernst genommen und Personenschutz veranlasst, wäre der Flüchtling wohl noch am Leben. Aber damals habe die Polizei „die Bedeutung“ des Hilferufes „verkannt“. Das betont am Dienstag der Wiener Staatsanwalt Leopold Bien beim Auftakt des Prozesses um den Tod von Israilow.

Mittlerweile wird die Gefahrenlage ganz anders eingeschätzt. Im Grauen Haus herrscht erhöhte Sicherheitsstufe. Die vorerst bis 26.November anberaumte Geschworenen-Verhandlung wird von einem Großaufgebot aus Polizei und Justizwache kontrolliert.

Am 13. Jänner des Vorjahres wird Umar Israilow, einst Gegner des tschetschenischen Despoten Ramsan Kadyrow, später gezwungenermaßen Mitglied der Kadyrow-Leibgarde, nahe seiner Wohnung in Wien-Floridsdorf auf offener Straße ermordet. Er stirbt durch drei Schüsse aus einer Faustfeuerwaffe, die laut Anklage aus nächster Nähe abgegeben werden. Und zwar von Letscha B., der wenige Tage nach der Bluttat nach Tschetschenien flüchtet, wo er mittlerweile zum Polizeikommandanten ernannt worden sein soll. Staatsanwalt Bien: „Man könnte meinen, er sei für seine Tat belohnt worden.“

Mord als Plan B.

Angeklagt sind nun drei Männer. Allen voran Otto K. (42), ein zuletzt in St. Pölten lebender russischer Staatsangehöriger, der in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny geboren wurde. K. soll „die Gesamtverantwortung der Operation“ innegehabt haben. Der Tatplan habe vorgesehen, den „abtrünnigen“ Israilow nach Tschetschenien zu verschleppen. Sollte dies nicht klappen, sei als Alternative die Ermordung Israilows ausgemacht gewesen. Als Drahtzieher gilt der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow. Angeklagt ist dieser aber nicht. Dazu meint der Staatsanwalt in seinem gut zwei Stunden dauernden Eröffnungsvortrag: „Es ist naheliegend, dass Kadyrow persönlich den Auftrag erteilt hat.“ Insofern gebe es auch eine „Verdachtslage“. Allerdings sei „die persönliche Verantwortung“ des Präsidenten nicht „mit der erforderlichen Sicherheit festzumachen“.

Folgerichtig kündigte der Verteidiger von Otto K., Rudolf Mayer, an, die Zeugeneinvernahme von Kadyrow zu beantragen. „Vielleicht kommt er ja her.“ Wenn nicht, bestehe die Möglichkeit, den Präsidenten via Rechtshilfeersuchen an Russland einvernehmen zu lassen. Sein Mandant habe keinen politischen Mordauftrag erfüllt, es handle sich um eine „rein kriminelle Aktion“: Jene beiden Männer, die Israilow verfolgten, hätten diesen mit den Schüssen stoppen wollen – nicht erschießen. Motiv für die Verfolgung laut Mayer: Israilow sollte entführt werden, weil er angeblich 300.000 Euro veruntreut habe.

Weiters angeklagt ist Suleyman D. (36). Der zuletzt in Wilhelmsburg (Niederösterreich) lebende Mann, dem die Anklage nachsagt, an einem Taliban-Trainingslager teilgenommen zu haben, soll in die Vorbereitung der Aktion eingebunden gewesen sein und die Observation des Opfers übernommen haben. Verteidiger Lennart Binder nannte D. ein „Bauernopfer“ in den Mordplänen des russischen Premiers Wladimir Putin und seines „Hampelmanns Kadyrow“.

Der dritte Beschuldigte, Turpal-Ali Y. (31) – ihm wird so wie den beiden anderen Männern nicht nur Beteiligung am Mord, sondern auch versuchte Überlieferung an eine ausländische Macht vorgeworfen –, soll das Opfer (gemeinsam mit dem Schützen) mit gezogener Waffe verfolgt haben. Anwalt Peter Philipp bestreitet das. Und bezeichnet seinen Schützling lediglich als „Dilettanten ohne Rolle“. Heute, Mittwoch, wird die Verhandlung fortgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2010)

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