Psychotherapie und Psychiatrie

Fürsprecher der Kinder

Es braucht Zeit und viel Expertise, um oft komplexe psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen zu behandeln.
Es braucht Zeit und viel Expertise, um oft komplexe psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen zu behandeln. (c) Getty Images/iStockphoto (fizkes)
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Spezielle Ausbildungen dauern Jahre. Gerade im Kinder- und Jugendbereich gibt es viel zu lernen, um zielorientiert helfen zu können.

Es ist ein faszinierendes Eintauchen in eine komplexe Materie, eine Kombination von Genetik, Neurobiologie, individuellen Umständen des Aufwachsens des Kindes und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen“, sagt Rudolf Winkler, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Klagenfurt. Das Angebot, Kinder und Jugendliche psychiatrisch und psychotherapeutisch zu betreuen, war in Österreich bereits vor der Pandemie lückenhaft. Der Bedarf kann aber nicht so schnell gedeckt werden, die Ausbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin dauert sechs Jahre – nach dem Abschluss des zugrunde liegenden Medizinstudiums. „Es ist eine breite Ausbildung, und gerade im Kinder- und Jugendbereich brauche ich für jede Altersstufe eine andere Herangehensweise, sowohl bei der Diagnostik als auch in der Therapie“, erklärt Winkler.

Drei Abschnitte umfasst die Facharztausbildung: zunächst eine neunmonatige Grundlagenausbildung, danach die „Grundausbildung im Sonderfach“. Hier stehen fachspezifische Themen wie Krankheitsbilder, kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungsmethoden, Psychotherapietechnik, aber auch Inhalte wie Forensik oder Rechtsvorschriften auf dem Programm – 27 Monate lang. In den weiteren 36 Monaten stehen Schwerpunktmodule zur Auswahl: Angewandte Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapeutische Medizin, Akutbehandlung – Krisenintervention, Kinder- und Jugendpsychiatrie im behördlichen Kontext, Entwicklungsstörungen, Adoleszentenpsychiatrie und ein fächerübergreifendes wissenschaftliches Modul. „Die Ausbildung findet derzeit überwiegend in Krankenhäusern statt, es sollte aber auch der niedergelassene Bereich, etwa Lehrpraxis bei Kassenärzten, in Zukunft vermehrt miteinbezogen werden“, sagt Winkler.

Auch für den Zugang zur postgraduellen Ausbildung für Gesundheitspsychologie und Klinische Psychologie muss man ein Studium absolviert haben. Konkret eines, nachdem man die Bezeichnung „Psychologin“ oder „Psychologe“ führen darf. Die Weiterbildung in den Bereichen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie „kann in unterschiedlichen Instituten oder Einrichtungen erfolgen“, erklärt Catherine Penz-Gieorgijewski, Klinische- und Gesundheitspsychologin mit Schwerpunkt Kinder und Jugendliche. „Die jungen Psychologen bewerben sich bei Kliniken und Praxen initiativ oder bei ausgeschriebenen Stellen über den Berufsverband oder bei Anbietern der postgraduellen Ausbildung.“

Viel Erfahrung notwendig

Um als klinischer Psychologe tatsächlich tätig sein zu können, brauche es viel praktische Erfahrung: „Um Klienten helfen zu können und als klinischer Psychologe tätig sein zu können, muss man fast zwei Jahre im multiprofessionellen Kontext gearbeitet haben“, berichtet sie. Und betont die Komplexität des Fachbereichs Kinder und Jugend: „Wenn ein Kind plötzlich nicht mehr schlafen kann, dann kann das viele Ursachen haben. Psychische, wie Stress in der Schule oder in der Familie, es muss aber auch abgeklärt werden, ob es überhaupt eine nicht organische Schlafstörung ist.“ Sie sieht in ihrer täglichen Praxis „ein Zunehmen diverser, früher eher selten aufgetretener Krankheitsbilder seit der Pandemie“, und die Behandlung durch klinische Psychologen „ist keine Kassenleistung, das muss man sich leisten können. Nur die Diagnostik ist durch die Krankenkassa gedeckt.“ Und: „Die Ausbildung dauert so lang, weil es viel zu lernen gibt.“

Viel zu lernen gibt es auch an der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) im postgradualen Universitätslehrgang für Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. „Teilnehmer, die nach dem zweijährigen Lehrgang mit einer Zertifizierung abschließen möchten, müssen bereits zu Studienbeginn in Ausbildung unter Supervision sein“, erklärt Lehrgangsleiterin Gabriela Pap. „100 Stunden Arbeit mit Erwachsenen unter Supervision, also in Begleitung, müssen belegt sein.“ Ohne diesen Nachweis können Interessierte auch teilnehmen – aber nicht zertifiziert abschließen. Im ersten Jahr steht an der SFU Theorie auf dem Programm, ab dem zweiten die Praxis. Pap betont: „In der Psychotherapie gibt es unterschiedliche Richtungen, wir folgen nicht einer bestimmten Schule, sondern arbeiten methodenübergreifend, inkludieren also verschiedene Schulen.“

Winkler betont die gesellschaftliche Verantwortung des Berufs: „Kinder- und Jugendpsychiater sind Experten für die Kindesentwicklung, somit Fürsprecher für Kinder mit Entwicklungsrisiko und Familien mit suboptimalen psychosozialen Rahmenbedingungen. Dies bedeutet, sich neben dem Kindes- und Familienwohl auch stetig für die Weiterentwicklung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen bei Therapiemöglichkeiten, Kindergärten, Schulen und Politik kritisch einzubringen.“

AUF EINEN BLICK

• Facharztausbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin nach einem abgeschlossenen Medizinstudium

Postgradualer Universitätslehrgang für Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der SFU, www.sfu.ac.at

• Ausbildung für Gesundheitspsychologie und klinische Psychologie ist nach Abschluss eines Studiums, das mit dem Titel „Psycholog/in“ abschließt, möglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2022)

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