Bauprojekte

Graz: „Über das Grundstück hinausdenken“

Graz wächst schnell – und soll in Zukunft vermehrt auf Grünraum und Altbestand achten.
Graz wächst schnell – und soll in Zukunft vermehrt auf Grünraum und Altbestand achten.(c) Getty Images/iStockphoto (Creativemarc)
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Die zahlreichen Neubauten rufen auch Kritiker auf den Plan. Sie fordern genaueres Hinterfragen sowie Gesetzesänderungen und trauern um historische Bausubstanz.

„Wenn man eine Zeit lang weg war, erkennt man seinen Heimatbezirk kaum wieder“, beschreibt Peter Laukhardt die Situation in „seinem“ Graz. Der Grund: „Jede verfügbare freie Fläche wird ,entwickelt‘, historische Bausubstanz und Grün weichen Wohnblöcken, und darunter leiden sowohl das Stadtbild als auch das Klima.“ Der Historiker und Autor gründete 2021 die Bürgerinitiative „Soko Altstadt“, die sich dem Erhalt schützenswerter Gebäude verschrieben hat. „Manchmal werden Villen so überraschend dem Erdboden gleichgemacht, um an ihrer Stelle Wohnungetüme zu realisieren, dass man nicht einmal mehr Zeit hat, sie noch fotografisch zu dokumentieren.“ Besonders in den Außenbezirken grassiere der Villenschwund. Klaus Scheiber kämpft als Sprecher von „Rettet den Grüngürtel“ für eine Gestaltung dieser Zonen, „die dem Charakter des Ortsbildes entspricht“. Mehrgeschoßige Blocks würden nicht in die ländlich strukturierten Berghänge des Stadtrands passen, findet er.

Recht auf maximale Bebauung

Auch Doris Pollet-Kammerlander tritt aktiv gegen die ihrer Ansicht nach nicht notwendige Verbauung auf. Als Initiatorin von „Unverwechselbares Graz“ bemängelt sie, „dass nicht aus Wohnbedarf heraus gebaut wird, sondern für Anleger, gewerbliche Bauträger und Investoren“. Die ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete untermauert das mit Zahlen: „Im vergangenen Jahr wuchs die Grazer Bevölkerung um knapp 1500 Personen, es wurden jedoch rund 6600 Wohnungen fertiggestellt.“ In der Stadtbaudirektion sieht man jedoch kein Missverhältnis. Der Bevölkerungszuwachs werde nach Covid wieder Fahrt aufnehmen, ist Leiter Bertram Werle überzeugt.

Dass eine derartige Verdichtung überhaupt möglich ist, liege wesentlich am steirischen Baugesetz, sind sich die Protagonisten der Bürgerinitiativen einig. Es sichere den Bauträgern das Recht auf Ausnutzung der maximalen Bebauungsdichte zu. „Diese Bestimmung ist eine Goldgrube für Investoren“, sagt Pollet-Kammerlander. „Die winken da schon mit dem Anwalt.“ Das Gesetz ermögliche es damit, ergänzt Laukhardt, dass einstige Grünflächen fast zur Gänze zubetoniert werden „und ein Alibi-Rasenstreifen oder ein zur Erdgeschoßwohnung gehörender Garten die Anforderungen schon erfüllen“.

Wunsch nach Ensembleschutz

Maßnahmen, die dem Schutz des Stadtbildes dienen sollten, erweisen sich da oft als zahnlos, argumentieren die Kritiker. Das Grazer Altstadterhaltungsgesetz beispielsweise hat sechs „Schutzzonen“ definiert, in denen sich insgesamt mehr als 4000 Gebäude befinden. Bloß: „Diese Zonen umfassen Gebiete, in denen kaum mehr etwas Schützenswertes steht“, wie Laukhardt etwas überspitzt formuliert. Laukhardt selbst hat nach jahrelanger Recherche eine Liste mit 1700 erhaltenswerten Objekten erstellt, „220 davon sind mittlerweile verloren“. Seine Einstufung ist rechtlich unverbindlich, offiziell denkmalgeschützt sind in Graz 832 Gebäude.

Zum anderen argwöhnen die Kritiker, dass politische Akteure in den vergangenen Jahren „zu investorenfreundlich“ agiert hätten. „Die Wünsche der Bauträger wurden einfach in die Flächenwidmungspläne und die Bebauungspläne hineingeschrieben“, sagt Pollet-Kammerlander. Auch die Altstadtsachverständigenkommission habe vieles durchgewunken. In Zukunft solle verstärkt die Meinung von Kunsthistorikern in die Gutachten der Kommission einfließen, versprach die neue Bürgermeisterin, Elke Kahr. Das ist den Kritikern freilich nicht genug: „Die Bebauungspläne, in denen die Behörde die Vorgaben für die Bauherren festlegt, müssen über die Grundstücksgrenze hinaus die Umgebung berücksichtigen und Ensembleschutz betreiben“, fordert Laukhardt zusätzlich zu einer Änderung des steirischen Baugesetzes. „Es braucht einen Paradigmenwechsel“, pflichtet Pollet-Kammerlander bei.

AUF EINEN BLICK

Durchschnittlich jede Woche wurde in den letzten zehn Jahren in Graz ein Neubau fertiggestellt. Das rechnete die Grazer KPÖ nach, die sich traditionell, auch ohne politische Ressortzuständigkeit, des Themas Wohnen und damit zusammenhängender Probleme annimmt. Dafür wurden insgesamt rund 60 Hektar Boden versiegelt. Dazu kommen noch einmal so viel für andere Zwecke, etwa für den Verkehr. Das entspricht fast dem Sechsfachen der Fläche des Stadtparks. Täglich werden fast 200 Quadratmeter Gebäudegrundfläche neu errichtet, heißt es in der Statistik.

In der gesamten Steiermark wurden 2020 laut Statistik Österreich 3301 neue Wohngebäude genehmigt, das Bundesland ist damit mit 10,9 bewilligten Wohnungen pro 1000 Einwohnern österreichischer Spitzenreiter. Im Vergleich: In Wien wurden 9,2, in Kärnten 6,4 Wohnungen pro 1000 Einwohner bewilligt.

In Zukunft soll nun verstärkt die Meinung von Kunsthistorikern in die Gutachten der Kommission einfließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2022)

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