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"The Adam Project": Ein Zeitreise-Film voller Umarmungen

The Adam Project
The Adam ProjectDoane Gregory/Netflix
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Der Sci-Fi-Film mit Ryan Reynolds als Kindskopf, der sein jüngeres Ich besucht, ist nicht nur familienfreundlich, sondern regelrecht familienbesessen.

Als „Großvaterparadoxon“ wird ein Gedankenexperiment im Zusammenhang mit einer hypothetischen Reise in die Vergangenheit beschrieben. Was würde denn passieren, fragen sich Philosophen und zahllose Science-Fiction-Erzählungen, wenn ich mich rückwärts durch die Zeit bewege und meinen eigenen Großvater umbringe? Würde ich damit nicht die Bedingung meiner eigenen Existenz zerstören? Der Netflix-Film „The Adam Project“, der zu den philosophischen Dimensionen der Zeitreise ein eher hemdsärmeliges Verhältnis pflegt, formuliert die Frage um: Was passiert einem Zeitreisenden, der seine Verwandten, oder auch sein jüngeres Selbst, nicht umbringen, sondern einfach nur fest in den Arm nehmen möchte?

Tränenselige Umarmungen von Vater und Sohn, Mutter und Sohn, Sohn und Sohn und so weiter, allesamt untermalt von kraftvoll anschwellender Musik und begleitet von Schwüren, ab sofort einander eine bessere Familie zu sein: Das sind in „The Adam Project“ die einzigen Gründe, durch die Zeit zu reisen. Es beginnt damit, dass die dem Jahr 2050 entstammende Hauptfigur, Adam (Ryan Reynolds), nach einer wilden Weltraumschlacht und dem Sturz in ein Wurmloch auf der Veranda seines eigenen Kindheitszuhauses aufschlägt. Allerdings nicht, wie geplant, im Jahr 2018, sondern vier Jahre „zu spät“, 2022.

Also nimmt Adam, nach ein paar ersten Umarmungen, sein jüngeres Ich mit auf seine Abenteuer, einen zwölfjährigen Bengel (Walker Scobell), der gerade seinen Vater – also den Vater der beiden Adams – verloren hat, den Verlust nicht verarbeiten kann und den Frust an seiner Mutter auslässt. Die wiederum vom älteren Adam in einer Bar angequatscht wird; eine Szene, deren inzestuösen Untertöne der dezidiert familienfreundliche, regelrecht familienbesessene Film höchstens ganz leise anklingen lässt.

Da knicken auch die Weltraumsoldaten ein

Stattdessen bewegt er sich zielstrebig weiter in Richtung Vergangenheit, sammelt verstorbene Verwandte und andere Verflossene ein und sorgt zwischendurch dafür, dass neben dem Gefühlshaushalt der Adam-Familie auch das intergalaktische Raum-Zeit-Gefüge wieder ins Lot kommt. Wobei das Science-Fiction-Spektakel diesmal die zweite Geige zu spielen hat. Gelegentlich müssen sich die beiden Adams gegen aus heiterem Himmel in den Film hereinschneiende Weltraumsoldaten zur Wehr setzen, die sich jedoch stets schnell und ohne viel Gegenwehr in Pixelwolken auflösen – als würden sie selbst einsehen, dass sie kein Recht haben, der metaphysischen Familienzusammenführung im Weg zu stehen.

Regisseur Shawn Levy und Hauptdarsteller Ryan Reynolds hatten zuletzt in „Free Guy“ Motive aus populären Sci-Fi-Klassikern wie „The Matrix“ und „The Truman Show“ zu gut geölter Blockbusterunterhaltung verrührt. In „The Adam Project“ versuchen sich die beiden an einer sentimentaleren Tonlage. Reynolds erweist sich als ideale Besetzung für den erwachsenen Adam: Spätestens seit „Deadpool“ spielt er praktisch in jedem Film den ewigen Kindsmann, dessen Ambitionen sich einerseits darauf beschränken, die pubertären Fantasien seines inneren Zwölfjährigen „in echt“ auszuagieren; dessen offensichtliche Unreife aber andererseits so selbstironisch daherkommt, dass man sie ihm unmöglich übel nehmen kann.

Hingabe an die eigene Infantilität

Auch hier erweist sich der zwölfjährige Adam schnell als reflektierter und besonnener als sein älteres, fast zwanghaft dumme Sprüche klopfendes Ich. Spätestens, wenn er mithilfe einer langen Reihe weiterer Umarmungen seine Daddy Issues aufarbeitet, zeigt sich, dass das Zeitreisen für den großen Adam nichts anderes ist als ein Versuch, das Erwachsenwerden zu verhindern. Und ausgerechnet die komplette Hingabe an die eigene Infantilität will der im Übrigen nicht uncharmante Film uns am Ende als einen persönlichen Reifungsprozess verkaufen. So findet Shawn Levy doch noch zu seinem eigenen Zeitreiseparadoxon: Umarme das Kind in dir, um erwachsen zu werden.

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