Subtext

Eine mutige Haltung ist toll. Sie einzufordern, ist vermessen

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Gibt es in kollektiven Grenzsituationen wie Krieg oder Tyrannei nur noch Helden und Feiglinge? Eine Spurensuche bei Brecht und Sartre.

„Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“: In diesen Stoßseufzer aus Brechts „Leben des Galilei“ stimmen wohl viele gern ein. An einer Stelle des Stücks spottet der von der Inquisition bedrohte Wissenschaftler über seine Kollegen, die, „selber sitzend im sicheren Amsterdam“, von ihm klare Worte fordern – die fertigen „Discorsi“, in denen er beweist, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Wir, sitzend im sicheren Wien, erwarten von Russen, dass sie laut die Invasion in die Ukraine kritisieren und gegen Putin aufbegehren – auch wenn sie damit Leib, Leben oder Beruf riskieren, und damit das Wohlergehen ihrer Nächsten. Im Fachjargon der Ethiker wäre solcher Heldenmut „supererogatorisch“ – moralisch höchst lobenswert, aber nichts, was man als geboten einfordern könnte.

Zu leicht macht es sich aber auch Herr Keuner in einer von Brechts pädagogischen Parabeln. Er beugt sich der Gewalt und rechtfertigt sich: „Ich habe kein Rückgrat zum Zerschlagen. Gerade ich muss länger leben als die Gewalt.“ Klingt vernünftig, taktisch klug. Aber dieser Keuner erklärt es mit einer zweifelhaften Geschichte: Bei einem Mann nistet sich ein Agent des Bösen ein, der fragt: „Wirst du mir dienen?“ Statt zu antworten, bekocht und umsorgt der Mann ihn, immer schweigend, und erst als der Agent nach sieben Jahren stirbt, sagt er ihm ins Gesicht: „Nein.“ Stumme Ablehnung, innere Emigration? Das bewirkt nichts, hilft niemandem, und wer sich damit eine saubere Weste bewahren will, belügt sich selbst. Nein, in kollektiven Grenzsituationen wie Krieg oder einem Abgleiten in die Diktatur gibt es keine „unpolitische Haltung“.


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