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Czernowitz, eine Wien-Dependance

Czernowitz wirkte auf manchen Besucher wie eine Wien-Dependance.
Czernowitz wirkte auf manchen Besucher wie eine Wien-Dependance.DenysKuvaiev/iStock
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Bevor die harmlose ukrainische von der russischen Nationalismuspest geschluckt wurde.

Ich war drei Mal in der Ukraine, einmal in Kiew, einmal auf der Krim, einmal in Czernowitz. Immer fühlte ich mich wohl, besonders in Czernowitz, das auf mich wie eine Wien-Dependance wirkte. Ich war auf einem Literaturfestival eingeladen. Ein bekannter ukrainischer Schriftsteller saß beim Lunch neben mir. Er erklärte, wie überlegen die ukrainische Sprache der russischen sei, da sie mehr Ausdrucksformen und ein größeres Vokabular habe. Ich fand das dummpatriotisch und langweilig. Ich beurteile Sprachen nicht nach Wortschatzquantität, ich liebe kleine und limitierte Kreolsprachen mit ihrer komplexen Idiomatik ebenso. Einige dezidiert russische Autoren (Männer) agierten auch nicht besser, sie lamentierten, dass man zu wenige ihrer Spezies eingeladen habe, ja dass man ihre Russenhaftigkeit nicht anerkenne. Ich würgte die dissonanten Themen ab, wollte nicht noch von Russen erfahren, wie überlegen russische Kultur oder Sprache sei.

Bei jenem Festival sollte ich auf der Abschlussveranstaltung eine kleine Rede halten. Der Veranstalter bat mich eine halbe Stunde vorher darum. Ich musste weitgehend frei sprechen, und das vor zwei- bis dreihundert Personen. Es begann großartig. Ich lobte Gastfreundschaft, Essen, Literatur. Das Publikum klatschte begeistert. (Ich log nicht, hatte wirklich einige besondere Menschen kennengelernt, die sich dem Patriotengeschwafel entzogen.)

Dann sagte ich aber – und vielleicht war das naiv –, dass ich fände, sie könnten die Sprachvielfalt ebenso als kulturelle Bereicherung anerkennen. Nationalismus habe diesen Kontinent oft an die Kippe gebracht, er führe zu Krieg und Zerstörung. Ich hätte den Eindruck, dass einige dieses Land am liebsten per Reißverschluss teilen wollten. Ich fände das potenziell mörderisch. Als ich von der Bühne ging, gab es äußerst schütteren Applaus. Der Veranstalter sprach auch kein Wort mehr mit mir, er dankte mir nicht einmal. Seit dem Putin’schen Angriffskrieg 2022 denke ich oft an all diese Leute. Manche verstehe ich jetzt besser. Manche deutlich schlechter. Wo sind sie alle nur gerade?

("Die Presse Schaufenster" vom 11.03.2022)

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