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Samuel L. Jackson auf großer Gedächtnistour: Fantastisch

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In "The Last Days of Ptolemy Grey" spielt Samuel L. Jackson einen Demenzkranken auf heißer Spur. Zu sehen auf Apple TV.

Ein weiter historischer Bogen wird in der Apple-Serie "The Last Days of Ptolemy Grey" gespannt: Er reicht von der Rassentrennung im Süden der USA bis heute. Der unstete Lebenslauf des betagten Titelhelden (Samuel L. Jackson) spiegelt das Geschick der Afroamerikaner im 20. Jahrhundert wider, ohne Zäsuren direkt zu erwähnen - wie die "Great Migration" (die afroamerikanische Massenflucht in den liberaleren Norden ab 1910) oder den Civil Rights Act (die bundesweite Gleichstellung der schwarzen Bevölkerung ab den 1960er-Jahren). Der fesselnde Plot über einen Zeitzeugen aus Atlanta setzt nicht auf chronologischen Geschichtsunterricht, schildert keine politische Entwicklung. Vielmehr ist die Erzählweise intim und assoziativ - und der Held ein schwarzer Durchschnittsbürger.

Ähnlich wie im Film "The Father" mit Anthony Hopkins wird die Handlung aus der Perspektive eines Umnachteten erzählt, für den Vergangenheit und Gegenwart am Lebensabend durcheinandergeraten. Immer eindrücklicher wird Grey von Erinnerungen an seine Kindheit in Mississippi heimgesucht: Eine Flamme befeuert Rückblenden zu Brandanschlägen und Terror. Greys inneres Auge sieht einen brennenden Mann in ein Maisfeld rennen, doch aufgrund seiner Demenz fehlt ihm der Kontext für das Bild.

Jackson spielt den Greis anfangs als ungehobelten Exzentriker, der zwar Mitleid, aber nur wenig Sympathie erregt. Sein Großneffe Reggie (Omar Benson Miller) besucht ihn regelmäßig - und zeigt sich genervt von den Marotten des alleinstehenden Großonkels, der in seinem chaotischen Haushalt meist vor dem Fernseher hockt. Greys monotones Dasein gerät erst aus den Fugen, als der Mord an seiner einzigen Bezugsperson von der Polizei ignoriert wird. Die verwaiste Robyn (Dominique Fishback) hilft dem Umstandskrämer beim Verarbeiten - und wird seine jugendliche WG-Genossin.

Zugleich nimmt der geistige Verfall des schrulligen Alten eine unerwartete Wendung in Richtung Science-Fiction. Nachdem er sich von einem Arzt ein Serum hat spritzen lassen, kann Ptolemy sein Gedächtnis im Schlaf wie ein Virtual-Reality-Spiel betreten. Nebenwirkung: Er muss verstörende Kindheitserlebnisse erneut mitansehen. Und sich mit dem Liebeskummer aus seiner Schnauzbartphase in den 1970er-Jahren auseinandersetzen. Für das Publikum hat der Kniff indes magische Folgen: Einmal ist Grey als Senior zu sehen, schon in der nächsten Einstellung ist er wieder Bursche oder Kerl.

Ein alter Zausel findet seine Coolness

Auf seinen Streifzügen durch die Erinnerung entdeckt er zudem vergessene Schätze, in Koffern oder unter Dielen versteckt. Sein Zustand im Wachleben bessert sich Stück für Stück. Er rasiert sich den Zottelbart ab, mutiert für seine Nächsten zum großzügigen Charmeur und für den Toten zum rächenden Ermittler. Bemerkenswert, dass das surreale Fantasy-Konzept um einen faustischen Pakt zwischen weißem Wissenschaftler und schwarzem Probanden nicht für reißerische Schauwerte missbraucht, sondern für geschichtsphilosophische Erzählkunst und die subtile Aufarbeitung historischer Traumata genutzt wird - noch dazu sehr sinnlich und sozialrealistisch.

Jackson spielt hier die Rolle seines Lebens. Sein Auftritt als hilfloser Zausel markiert zwar einen Bruch mit seinem Image als wehrhafter schwarzer Mann. Doch je mehr das Heilmittel bei seiner Figur anschlägt, desto stärker verleiht er ihr das Selbstbewusstsein der coolen Gauner und Detektive, die er früher verkörperte. Ungeachtet kleiner Sentimentalitäten fällt hier große Schauspielkunst mit faszinierender historischer Reflexion zusammen: ein Bravourstück.

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